Faktencheck Abstimmungs-Arena „Atomausstiegsinitiative“ – Sicherheit

arena-atomausstiegAbstimmungs-Arena „Atomausstiegsinitiative“. Standbilder Schweizer Radio und Fernsehen.

Da diese „Argumente“ immer wieder ähnlich in den Medien auftauchen, hier stellvertretend—besser spät als nie—ein Faktencheck zu gewissen Äusserungen an der Arena-Sendung vom 28. Oktober.

Teil 1: Thema Sicherheit, Fukushima

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Bei Zeitmarke 9:40 meldet sich Christian Imark, Nationalrat SVP/SO zu Wort („zu Wort melden“, ist eine diplomatische Umschreibung):

Das ist reine Angstmacherei von eurer Seite: Japan/Fukushima hat überhaupt nichts zu tun mit den Schweizer AKW. Es ist völlig klar, dass das, was in Fukushima nicht gut gelaufen ist, dass das in der Schweiz bei allen fünf AKW seit Jahrzehnten sichergestellt ist.

Dann wird er sogar recht konkret, in Sachen Sicherheitstechnik:

Ich kann ihnen noch sagen was es ist: es ist ein geschlossenes und gefiltertes Containment und es ist eine katalytische Verbrennung des Wasserstoffes und ganz wichtig, gebunkerte Notstrompumpen sind in der Schweiz bei allen AKW installiert.

Das tönt doch sattelfest—oder? Eine „kleine“ Analyse:

Fukushima und Tschernobyl verwechselt?

Zunächst bringt Herr Imark wohl ein bisschen die Atomkatastrophen durcheinander. „Geschlossen“ sind die Containments natürlich sowohl in Japan als auch in der Schweiz. Deren Design ist vom selben Hersteller (General Electric) und Typus wie im AKW Mühleberg (Mark I Pressure Suppression Containment). Der Herr Nationalrat verwechselt hier wohl Fukushima mit Tschernobyl, wo kein geschlossenes Containment vorhanden war. Dieses Argument diente damals als Standard-PR-Ausrede, sowas können in Schweizer AKW nicht passieren. Übrigens eine faule Ausrede, aber lenken wir nicht vom Thema ab.

Containment-Druckentlastung nicht nachgerüstet?

Er meint wohl die Containment-Druckentlastung, die angeblich in Fukushima nicht vorhanden gewesen sei. Diese Fehlaussage setzte das ENSI bald nach Fukushima in die Welt:

Zudem wurde in allen schweizerischen Kernanlagen – neben einer Reihe von anderen Verbesserungsmassnahmen – ein System zur gefilterten Containmentdruckentlastung nachgerüstet. Dank dieser Nachrüstung erfolgt eine allfällige Druckentlastung in der Schweiz gefiltert über den Kamin und nicht ins Innere des Reaktorgebäudes. Dadurch kann sich im Unterschied zu Fukushima kein Knallgas im Reaktorgebäude sammeln und explodieren.

In Wahrheit haben die AKW in Fuksuhima eine Containment-Druckentlastungen über den Kamin 1999-2001 nachgerüstet, wie der offizielle Regierungsbericht zeigt:

TEPCO built new vent pipes extending from the S/C and D/W to the stacks from 1999 to 2001 as PCV vent facilities during severe accidents as shown in Figs. IV-2-13 and IV-2-14. These facilities were installed to bypass the standby gas treatment system (hereinafter referred to as SGTS) so that they can vent the PCV when the pressure is high. The facilities are also provided with a rupture disk in order to prevent malfunction. […]

overview-of-pcv-venting-facility-unit-1-figure-iv-2-13-fukushima-daiichi

Aber diese ENSI Fehlaussage—zur bezeichnenden voreiligen Freisprache der Schweizer AKW—hält sich hartnäckig im PR-Repertoir der Atombefürworter. Auch wenn das ENSI selber diese Aussagen längst nicht mehr bringt.

In Wahrheit ist also der Wasserstoff eben trotz vorhandener Containment-Druckentlastung ins Reaktorgebäude entwichen, hat sich dort mit Luftsauerstoff zu „Knallgas“ vermischt und ist explodiert.

Fukushima Explosion Bildreihe

Katalytische Verbrennung des Wasserstoffes?

Damit sowas nicht passieren kann, müssten im Gebäude sogenannte Wasserstoff-Rekombinatoren für diese Art von Störfällen vorhanden sein. Herr Imark behauptet ja, dies sei „in der Schweiz bei allen fünf AKW seit Jahrzehnten sichergestellt“.

Falsch, Herr Nationalrat.

Mühleberg, Leibstadt und Gösgen hatten bisher gar keine solchen Systeme, dasjenige in Beznau ist ungenügend. Das ENSI hat lange, lange, lange untersuchen lassen und erst 2015 entsprechende Nachrüstungen gefordert.

ENSI fordert Nachrüstungen zum Wasserstoffmanagement bei Unfällen

Mit neuen Analysen haben die Kernkraftwerke ihre Vorsorge gegen die Wasserstoffgefährdung bei schweren Unfällen überprüft. Von allen Kernkraftwerken werden Nachrüstungen gefordert. Die neueren Werke Gösgen und Leibstadt werden passive Einrichtungen zum Wasserstoffabbau nachrüsten. […]

Bei Mühleberg soll eine solche Nachrüstung offenbar bis zur Stilllegung 2019 ausgesessen werden, dort wurden wieder nur Untersuchungen verlangt. Zum x-ten Mal. So funktioniert das in der Schweiz.

Gebunkerte Notstrompumpen?

Oft wird die Nachrüstung der gebunkerten Notstandsysteme NANO (Beznau) und SUSAN (Mühleberg) als Vorteil der Schweizer AKW dargestellt. Dabei sind sie einzig und alleine Ausdruck der vorherigen krassen Sicherheitsdefizite dieser Uralt-AKW.

Die durch die Nachrüstung zu behebenden Unzulänglichkeiten betrafen ungenügenden Schutz gegen äussere und innere Ereignisse sowie einige weitere Schwächen der  vorliegenden Anlage. Nötige Massnahmen gegen äussere Ereignisse waren besserer Schutz mit entsprechender Qualifikation gegen Erdbeben, externe Überflutung, Verlust der Stauhaltung, Blitzschlag, Flugzeugabsturz und Einwirkungen Dritter.

Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen 1960 – 2003, Roland Naegelin (ASK-Mitglied 1970-1980, HSK [anm. heute ENSI] Direktor 1980-1995), Seite 335.

In der Schweiz wurden die Versorgungssysteme (Notstrom, Kühlwasser) und deren Gebäude nur nach konventionellen Bauvorschriften gebaut [KKM: HSK 11/250, Seite 6-5]. Das war in Japan anders: die Anlagen wurden von Beginn weg auf die örtlich erhöhten Gefährdungsannahmen insbesondere für Erdbeben aber auch Tsunami (Überflutung) ausgelegt. Seismische Auslegung wurde in Japan bereits 1959 vorangetrieben, noch bevor die Reaktorlieferanten und Aufsichtsbehörden im Herstellerland USA überhaupt darauf eingingen [David Okrent, Nuclear Reactor Safety: On the History of the Regulatory Process, 1981, p.262]. Unter dem Druck von Atomkritikern, musste die USA und der Rest der Welt dann nachziehen.

Dass sich der Überflutungs-Schutz in Fukushima als fehlerhaft herausstellte, kann auch der Schweiz blühen. Zwar nicht durch Tsunami, aber durch andere Überflutungsszenarien. Kritik an den diesbezüglichen Gefährdungsannahmen wurde von diversen namhaften Experten geäussert. Beispielsweise wird mit maximal zwei Tagen Regen gerechnet, einfach unglaublich! Die aufgegleiste Neubestimmung kommt nicht voran. Passiert etwas, kann man nachher wie in Japan feststellen: man hat es eigentlich schon lange gewusst.

Bei der nachträglichen Nachrüstung der gebunkerten Notstandsysteme ging man grobe Kompromisse ein, etwa beim AKW Beznau:

Das von der NOK termingerecht auf Ende 1981 eingereichte Projekt basierte auf den KSA-Projektierungsregeln für neue Anlagen, hatte dabei aber einen Umfang und eine Komplexität angenommen, welche den Rahmen einer zumutbaren und überschaubaren Nachrüstung überschritten. Im Einvernehmen mit der HSK wurde das Projekt einer Redimensionierung unterzogen.

Das hat diverse Folgeerscheinungen. Etwa dass Beznau daran ist, nochmals für 500 Mio. nachzubessern.

Zum AKW Mühleberg habe ich hier schon ausführlich darüber geschrieben, wie das ENSI zugeben musste, dass die Kühlwasserfassung beim gesetzlich anzunehmenden Hochwasserfall verstopfen kann und die Schweiz dann—widerrechtlich—durch Einsatz mobiler Feuerwehrpumpen vor der Atomkatastrophe bewahrt werden müsste. Dagegen führen wir bekanntlich ein Rechtsverfahren.

Fazit

Von wegen „Japan/Fukushima hat überhaupt nichts zu tun mit den Schweizer AKW“. Durchgefallen im Faktencheck.

Weitere Informationen, am AKW Mühleberg erklärt:

Fukushima - Muehleberg - Sicherheit in Theorie und Praxis

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