ja zum geordneten Atomausstieg: Zum Abstimmungsbüchlein

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Einige Worte zu den Argumenten des Bundesrates

Abstimmungsbüchlein geordneter Atomausstieg

Aussage 1:

Die Schweizer KKW dürfen heute so lange laufen, wie sie sicher sind. Sicherheit hat oberste Priorität. Die Betreiber müssen ihre Anlagen stets auf den neuesten Stand nachrüsten.

Diese Aussage lässt sich nicht mit der Realität in Einklang bringen. Welche Defizite beispielsweise das AKW Mühleberg hat, zeigt sich an seinem eigenen Nachrüstprojekt DIWANAS. Atomkritiker haben genau diese Defizite seit 25 Jahren benannt. Nach Fukushima forderte endlich auch das ENSI, diese zu beheben. Die Betreiberin BKW schätzte anfangs 170 Mio. Kosten, später hiess es, es komme noch erheblich teurer.

Dann entschied die BKW das AKW per 2019 stillzulegen. Die Nachrüstungen wurden wieder fallen gelassen. Die Ersatzmassnahmen sind nuklearer Sicherheit nicht würdig. Der BKW-Präsident war dann wenigstens ehrlich:

Wenn es in einem Haus durchs Dach regnet, das Sie bald abreissen, dann können Sie es mit einer Blache abdecken, BKW-Präsident Urs Gasche

Von wegen „stets auf dem neuesten Stand“.

Aussage 2:

Die Schweizer KKW dürfen heute so lange laufen, wie sie sicher sind. … Dies wird vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) überwacht. Die heutige Lösung hat sich bewährt. Es gibt keinen Anlass für eine Änderung.

Das einzige bisher in der Schweiz stillgelegte AKW—Reaktor Lucens—wurde per Super-GAU ausser Betrieb gesetzt, nachdem die Aufsichtsbehörden fehlerhafte Brennelemente trotz Durchschmelzen im Testreaktor und trotz erkannter Explosionsgefahr durchgewinkt hatten. Die Ausrede erschöpfte sich nach zehn Jahren Untersuchung darin, die Brennelemente seien nicht aus genau dem Grund explodiert, sondern aus einem anderen. Die Anwohner entkamen nur darum einer grösseren Freisetzung radioaktiver Stoffe, weil das AKW in einer Felskaverne untergebracht und zudem sehr leistungsschwach war. Trotzdem fungiert der Unfall auf INES Stufe 5 (Ernster Unfall), zusammen mit Three Mile Island/Harrisburg. Mit Verlaub: diese „Lösung“ hat sich beim bisher einzigen Anwendungsfall nicht bewährt.

Quelle: Wildi, Tobias. Der Traum vom eigenen Reaktor. die schweizerische Atomtechnologieentwicklung 1945-1969 Tobias Wildi. Chronos (2003), S. 249ff.

Beilage 15 Überreste Spaltstoffelemente Pos. 59, Schlussbericht über den Zwischenfall im Versuchs- Atomkraftwerk Lucens Am 21. Januar 1969 Juni
Quelle: Beilage 15 Überreste Spaltstoffelement Pos. 59, Schlussbericht über den Zwischenfall im Versuchs-Atomkraftwerk Lucens am 21. Januar 1969, Juni 1979.

Aussage 3:

Die Initiative berücksichtigt nicht, dass es Zeit braucht, den KKW-Strom grösstenteils mit Schweizer Strom aus Wasser, Sonne, Wind oder Biomasse zu ersetzen. Es ist nicht möglich, bereits 2017 genug einheimische erneuerbare Energie zu produzieren. Für die Bewilligung, Finanzierung und Erstellung der nötigen Anlagen braucht es deutlich mehr Zeit.

In der Schweiz braucht es offensichtlich die Macht des Faktischen, um etwas zu bewegen. Das Parlament hat unter dem zweifelhaften Lobbying der Strommonopolisten sehr erfolgreich alle substanziellen Bemühungen um mehr erneuerbare Energien unter dem Deckel gehalten. Die Schweiz ist bei neuen Erneuerbaren das Schlusslicht in Europa. Immerhin wird dennoch bereits Strom im Umfang des AKW Mühleberg erzeugt. Würden zusätzlich die 37’000 Projekte auf der Warteschlange umgesetzt, wäre Beznau 1 ebenfalls bereits ersetzt. Bleibt kurzfristig noch Beznau 2: nach einer kurzen Aufholphase auf dem Wachstumsniveau der EU wäre das zu schaffen:

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Zahlenvergleich und langfristige Perspektive: die Schweiz müsste bis 2029 insgesamt ca. 25 TWh Atomstromproduktion ersetzen.

Aussage 4:

Die Initiative würde die Abhängigkeit vom Ausland erhöhen: Eine übereilte Abschaltung führt dazu, dass bedeutend mehr Strom aus dem Ausland importiert werden muss. Schweizer KKW-Strom würde mehrheitlich durch ausländischen KKW-Strom und Strom aus umweltbelastenden Kohlekraftwerken ersetzt.

Es trifft zu, dass der europäische Strommix noch viel Kohle und Atomenergie beinhaltet. Wie man aber unten sieht, findet das Wachstum alleine und überproportional auf den Erneuerbaren statt. Kohle, Atom & Co. werden verdrängt. Wenn die Schweiz die Entwicklung verschläft und dann einen Teil dieses Wachstums im Ausland abschöpft, muss niemand ein schlechtes Gewissen haben. CO2 ist ein globales Problem, nur die Veränderungsbilanz zählt. Es tut mir aber um die Schweizer Stromindustrie leid, welche Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit einbüssen wird. Wegen ein paar ewiggestrigen und innovationsfeindlichen Atombetreibern und ihren politischen Helfershelfern.

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[Original-Grafik umgefärbt und markiert zum besseren Verständnis]

Aussage 5:

Durch massiv mehr Stromimporte droht zudem eine Überlastung der Schweizer Netzinfrastruktur. Um dies zu vermeiden, müsste die Netzinfrastruktur rasch genug ausgebaut werden können. Die notwendige Verstärkung der Netzinfrastruktur braucht aber Jahre und ist aufwendig und teuer. Die Initiative gefährdet deshalb unsere Versorgungssicherheit.

In Wahrheit ist es die Atomkraft, die ein doppeltes Klumpenrisiko darstellt: nicht nur in Sachen Nuklearer Sicherheit, sondern auch bei der Versorgungssicherheit. Nachdem das AKW Beznau 1 schon seit eineinhalb Jahren stillsteht—wegen plötzlicher Sicherheitsprobleme—ist nun auch Leibstadt vom Netz—wegen plötzlicher Sicherheitsprobleme. Leibstadt wird den ganzen Winter durch bei der Stromproduktion fehlen. Es hat alleine ungefähr die Produktionskapazität der drei alten AKW, die gemäss Initiative 2017 vom Netz müssten. Wer bei Atomkraft also noch von „Versorgungssicherheit“ lafert, verliert jede Glaubwürdigkeit.

Ausserdem hat die swissgrid die Netzengpässe bereits massgeblich entschärft. Mit weiteren Massnahmen in den folgenden Jahren wird die Schweiz bei Annahme der Initiative dank geordneter Ausschaltung der AKW-Versorgungs-Klumpenrisiken eine viel höhere Versorgungssicherheit erreichen, als jetzt:

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Und wer bei Versorgungssicherheit auch an die Landesverteidigung denkt, sollte einmal Artikel 25 des Kernenergiegesetzes lesen. Klumpenrisiko Nummer drei.

Aussage 6:

Mit einer Begrenzung der Laufzeiten werden die Spielregeln grundlegend geändert. Die Betreiber könnten Investitionen nicht amortisieren, die sie im Vertrauen auf das geltende Recht und gestützt auf die unbefristete Betriebsbewilligung getätigt haben. Es wurden darum bereits Entschädigungsklagen in Milliardenhöhe angekündigt. Sind diese erfolgreich, so müssten der Bund und damit letztlich alle Steuerpflichtigen diese Entschädigungen bezahlen. Es besteht zudem die Gefahr, dass die Steuerpflichtigen auch einspringen müssen, falls die KKW-Betreiber wegen der verkürzten Laufzeit nicht mehr genügend Geld für die Stilllegung und die Entsorgung aufbringen können.

Diese Aussagen sind sorgfältig so formuliert, dass sie Angst einflössen sollen, ohne jedoch direkt etwas auszusagen. Wenn jemand frech etwas „ankündigt“, heiss das eben überhaupt nicht, dass dies Hand und Fuss hat und vor Gericht „erfolgreich“ wäre. Der Bundesrat ist sich dessen bewusst, sonst hätte er dezidierter formuliert. In einem Zivilprozess muss der Kläger, welcher Schadenersatz verlangt, seine Positionen einzeln nicht nur behaupten, sondern klitzeklein beweisen. Es ist denkbar, dass die Betreiber von Beznau 1/2 und Mühleberg eine gewisse Entschädigung für die sofortige Stilllegung ohne Vorbereitungszeit einfordern können. Die paar Dutzend Millionen ist es mir wert. Aber entgangene Deckungsbeiträge in Milliardenhöhe wird kein Gericht zusprechen, wenn der Markt keine solchen liefert. Die AKW verbrennen wahrscheinlich sogar Geld, da sie nicht einmal mehr ihre variablen Kosten decken können. Damit ist auch der letzte Satz des Bundesrates wenig stichhaltig: wer keine Deckungsbeiträge einfahren kann, kann auch kein zusätzliches Geld für die Stilllegung und Entsorgung beiseite legen. Im Übrigen sollten sich die Steuerpflichtigen sowieso keine Illusionen machen: sie werden am Schluss für das dicke Ende der Atomkraft aufkommen müssen, so oder so.

Aussage 7:

Die Initiative weckt falsche Hoffnungen, denn der KKW-Strom lässt sich nicht so rasch und einfach durch sauberen einheimischen Strom ersetzen. Tatsache ist: Der Umbau unserer Energieversorgung braucht Zeit. Der Bundesrat setzt auf einen Ausstieg aus der Kernenergie, der mit dem Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien Schritt hält. Mit einem übereilten Ausstieg aus der Kernenergie und forcierten Stromimporten ist der Schweiz nicht gedient.

Es ist eben gerade umgekehrt. Solange nicht absehbar ist, bis wann die Atomkraftwerke ihre monopolgeschützten Marktanteile freigeben, wird niemand ernsthaft in Erneuerbare investieren. Die Initiative bringt den geordneten Ausstieg und damit den geordneten Umstieg. Ganz anders der Status Quo: von wegen „Schritt halten“, der unbefristete Weiterbetrieb bedeutet Stillstand bis zum unvorhersehbaren, plötzlichen Sicherheits-Aus. Es ist die Ablehnung der Initiative, welche planlos und gelähmt in die hilflose Abhängigkeit vom Ausland führt.

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Eine Wende ohne Ende ist keine.

Fazit:

Aus all diesen Gründen empfehlen Bundesrat und Parlament, die Initiative «Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)» abzulehnen.

Exgüseh, es bleibt kein valabler Grund übrig.

Darum, bitte Initiative annehmen. Merci!

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Artikel wird laufend überarbeitet. Vielen Dank für eure Rückmeldungen.

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