Tagesanzeiger: „Hochwassergefahr für AKW erneut auf dem Prüfstand“

Hochwassernachweis AKW Mühleberg - Eine kritische Beurteilung - Abbildung aus Bericht
Bild: eigene 3D-Visualisierung der Überflutungssituation des AKW Mühleberg gemäss Angaben des Betreibers

Im Artikel „Hochwassergefahr für AKW erneut auf dem Prüfstand“ schreiben Tagesanzeiger/Der Bund über die merkwürdige Nachbesserungs-Serie von „Hochwassernachweisen“ bei den Schweizer AKW, welche in zunehmender Intransparenz durchgeführt werden. Von Simon Thönen.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Ensi den Schweizer AKW bescheinigt, sie überstünden auch ein Extremhochwasser, ohne dass ein schwerer AKW-Unfall die Folge wäre. Bereits kurz nach Fukushima forderte das Ensi einen entsprechenden Sicherheitsnachweis von den AKW-Betreibern. Im September 2011 befand die Atomaufsicht, dass dieser erbracht sei. Die AKW durften in der Folge am Netz bleiben. […]

Trotz seines Persilscheins bezüglich der Hochwassergefahr liess das Ensi in der Folge weitere Untersuchungen an­stellen.

Der Journalist zeigt auf, wie das ENSI noch zwei weitere Male nachgebesserte Hochwassernachweise vermeldet hat, ohne dass bei den vorangehenden „Persilscheinen“ entsprechende Vorbehalte vermerkt worden wären.

Bei Mühleberg ging es wie zuvor um die Folgen des Flutgeschiebes. «Die neue Unter­suchung wirft ein seltsames Licht auf den damaligen Befund», findet Mühleberg-Kritiker Markus Kühni.

Dabei werden die Untersuchungen zunehmend im Verborgenen durchgeführt.

Anders als bei früheren Untersuchungen zur AKW-Sicherheit publizierte das Ensi diesmal aber weder den Wortlaut seiner Verfügung, welche die Unter­suchung durch die AKW-Betreiber anordnete, noch seinen Entscheid zur Untersuchung. «Das Ensi sah in den Dokumenten keinen nennenswerten Zusatznutzen für die Öffentlichkeit», begründete dies Ensi-Sprecher Sebastian Hueber. «Alle wesentlichen Informationen» seien bereits in der Mitteilung enthalten.

Dass solche Dokumente nicht veröffentlicht werden, ist rechtsstaatlich absolut inakzeptabel. Dies umso mehr, nachdem unsere Rechte und unsere „schutzwürdigen Interessen“ als AKW-Anwohner in einem Bundesgerichtsurteil gegen das ENSI bestätigt wurden.

Sobald auf Druck der Medien Licht in die Sache kommt, wird alleine schon anhand des mageren Umfangs der Stellungnahmen klar, wie leicht es sich das ENSI bei solcherlei Aufsichtstätigkeit macht:

Erst auf Anfrage des «Tages-Anzeigers» hin schaltete das Ensi am Abend seine Entscheide doch noch auf seiner Internetsite auf. Ihnen kann man entnehmen, dass das Ensi die Untersuchungen der AKW-Betreiber, die seit Dezember 2013 vorlagen, bloss «stichprobenartig überprüft» hat. Für Kritiker Kühni genügt dies nicht: «Es ist stossend, wenn das Ensi so viel Zeit zur Beurteilung braucht und dann doch nur eine stichprobenartige Überprüfung durchführt.»

Auch diese dritte „Hochwassernachweis-Nachbesserung“ wird nicht die Letzte sein:

Den Entscheiden ist weiter zu entnehmen, dass auch für die neue Flut­unter­suchung die Hochwasserberechnungen von 2011 verwendet wurden. Dies aber wurde bereits damals vom renommierten Klimahistoriker Christian Pfister kritisiert, weil sie historische Hochwasserkatastrophen nicht berücksichtigten. Erst zwei Jahre später setzten die Bundes­behörden eine Arbeitsgruppe ein, ­welche die Hochwasserberechnung überprüfen will – die Resultate werden aber erst in eini­gen Jahren vorliegen. Bis dahin seien einzelne Modellrechnungen wenig aus­sage­kräftig, sagt Beznau-Kritiker Heini Glauser: «Man weiss ja noch gar nicht, wie viel Wasser im Extremfall kommen könnte.»

Fazit: die Hochwassersicherheit der Schweizer AKW ist ein Flickwerk in welchen vor Fukushima nicht einmal die selbstverständlichsten Effekte wie Verkeilung von Treibgut, Transport von Feststoffen, Verstopfung von Wasserfassungen berücksichtigt wurden. Nun kommen Jahr für Jahr immer neue Nachbesserungen. Sogar die eigentlichen Grundannahmen zu den Abflussmengen sind in Frage gestellt. Trotzdem werden jedes Mal eigentliche Persilscheine an die AKW verteilt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Versäumnisse und angesichts der rapide abnehmenden Transparenz scheint zudem höchst fraglich, ob hier noch ergebnisoffen beaufsichtigt wird.

Hintergrund

Unmittelbar nach Fukushima hatte ich darauf hingewiesen, dass beim AKW Mühleberg durch Schlamm und Geröll Verstopfungen bei der einzigen störfallfesten Kühlwasserfassung entstehen könnten. Meine Befürchtungen wurden später von einer ETH-Untersuchung bestätigt. Das AKW musste nachrüsten.

Fukushima führte dazu, dass das ENSI neue Hochwasser-Nachweise verlangte. Sobald die vom ENSI gesetzten Randbedingungen bekannt wurden, häufte sich die Kritik verschiedener Experten.

In einem offenen Brief an das ENSI habe ich u.a. darauf hingewiesen, dass beim Hochwassernachweis (gemäss Richtlinien des Bundes) die „Verkeilung von Schwemmgut in den Entlastungs-Stauklappen des Dammes“ (sog. Verklausung) berücksichtigt werden müsste.

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Bild zum Thema Verklausung aus dem offenen Brief vom 11.5.2011 ans ENSI (siehe Seite 9).

Das ENSI antwortete nie auf meinen Brief. Im September 2011 folgte der Persilschein „Schweizer Kernkraftwerke beherrschen Hochwasser”. Die Nachweise enthielten diverse Unregelmässigkeiten, so auch das illegale Anrechnen von mobilen Feuerwehrpumpen. Nachdem die verantwortlichen Behörden bei einem Briefwechsel keine Einsicht zeigten, starteten wir ein Gerichtsverfahren, welches immer noch läuft.

Die angesprochene Verklausung blieb ebenfalls unberücksichtigt. Vier Monate später (Januar 2012) unterschob das ENSI der Jubelmeldung „EU-Stresstest bestätigt Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke“ eine neue Verfügung an das AKW Mühleberg, welche endlich eine Untersuchung der Verklausung forderte.

Vertreter der Mahnwache äusserten wenig später öffentlich Kritik am Hochwassernachweis des AKW Beznau. Der Vorwurf lautete, es würde „nur mit Hahnenwasser“ gerechnet, obwohl schon ETH-Kursunterlagen besagten: „Erst durch die Interaktion von Strömung und Feststofftransport nahmen die Hochwasserereignisse ihren katastrophalen Verlauf“.

Saltina, Brig - Hochwassermodellierungen - Einfluss des Sedimenttransports, Dr. Roland Fäh, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW)
Bild: „Feststoffablagerungen in Brig, nachdem die Saltina während des Hochwassers von 1993 über die Ufer trat.“, Quelle: Kursunterlagen zum Thema „Hochwassermodellierungen: Einfluss des  Sedimenttransports“, Dr. Roland Fäh, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW)

Ein volles Jahr später (Februar 2013) meldete das ENSIKernkraftwerk Mühleberg bei Hochwasser ausreichend gegen Verklausung geschützt„. Es entstand dabei der Eindruck, die Kritik beim AKW Beznau hätte in der Zwischenzeit ebenfalls gewirkt: in der Stellungnahme des ENSI wird Bezug genommen auf „die morphologischen Prozesse in der Aare“ und eine „Prognose der massgeblichen Sohlenlage“, also Eigenschaften des Feststofftransports im Hochwasserfall.

Dunkelkammer

Mit der aktuellen ENSI-Meldung wurde nun klar, dass das ENSI im März 2013 (einen Monat nach der vorherigen Erfolgsmeldung) schon wieder eine Nachbesserung der Nachbesserung der Hochwassernachweise forderte. Nicht nur von Beznau und Gösgen, wie zuvor immerhin angedeutet, sondern auch von Mühleberg. Erst mit dieser Forderung wurden offenbar tatsächliche Berechnungen zum Feststofftransport angestossen.

Die Öffentlichkeit erfuhr erst mit der aktuellen Meldung von dieser Forderung bzw. der Einreichung von neuen Nachweisen. Aber auch die aktuelle ENSI-Meldung enthielt keinerlei Dokumente. Erst nach Intervention des Tagesanzeigers wurden die mageren zweiseitigen Stellungnahmen des ENSI nachgereicht. Die Forderung des ENSI vom März 2013 und die Nachweise der Betreiber vom Dezember 2013 bleiben nach wie vor im Dunkeln.

Die Transparenz beim ENSI sinkt und sinkt.

 

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