Der Bund: „Fehler blieb 30 Jahre unentdeckt“
Im Kernkraftwerk Beznau hat bei zwei Notstromdieseln bis vor kurzem ein Schutz gegen Erdbeben gefehlt. Warum, weiss die Betreiberin Axpo nicht. Sie versichert, die Anlage sei trotzdem geschützt gewesen. Atomkritiker widersprechen.
TagesAnzeiger/Der Bund vom 29. Februar 2012 berichtet im Artikel „Fehler blieb 30 Jahre unentdeckt“ über neue Erkenntnisse zum Vorkommnis vom Dezember 2020. Von Stefan Häne und Matin Läubli.
Wie sich jetzt herausstellt, handelt es sich um ein lange zurückliegendes Versäumnis: Die zwei Notstrom-Dieselaggregate wurden in den Jahren 1992 und 1993 nachgerüstet. Dabei wurden die sogenannten Schockabsorber nicht eingebaut, wie die Axpo auf Anfrage erklärt. Diese Bauteile federn bei einem Erdbeben die starken Schwingungen ab, sodass die Notstrom-Aggregate unter Kontrolle bleiben. Dieser Montagefehler blieb also fast dreissig Jahre unentdeckt. […]
Er wurde auch an der letzten Totalüberholung 2009/10 nicht entdeckt. Dass er erst im Dezember 2020 aufgefallen ist, liegt wohl daran, dass die Schockabsorber im flexiblen Lager des Motors als Innenteil eingebaut und somit von aussen nur schwer erkennbar sind.
Die SES hatte eine Medienmitteilung aufgeschaltet und kommt auch im Artikel zu Wort:
Der jüngste Vorfall löst heftige Kritik aus. «Von 1969 bis 2017 gab es keinerlei Schutz gegen Erdbeben, wie sie Fukushima 2011 erlebt hat», sagt Simon Banholzer von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES). Bis 2017 seien die erdbebengesicherten Notstandssysteme nicht einsatzbereit gewesen, die Axpo wäre auf mobile Dieselaggregate angewiesen gewesen, deren Einsatz bei einem Erdbeben unsicher sei. «Dies zehn Jahre nach Fukushima zu erfahren, erschüttert das Vertrauen in die Aufsicht und die Betreiber.»
Die Axpo reagiert mit merkwürdigen Argumenten:
Die Axpo widerspricht. «Diese Aussage ist nachweislich falsch. Die Sicherheit des Werks war durch redundante Notspeisesysteme jederzeit gewährleistet», sagt Sprecher Sommavilla. Um die Anlage zu kühlen, reiche ein Dieselaggregat.
Das Erdbeben findet wohl gemäss Axpo nur bei einem der zwei Notstands-Dieselaggregate mit fehlenden Schockabsorbern statt. Wenn das sicherheitstechnische Verständnis für die Störfallbedingungen fehlt, kann vielleicht die gesetzliche Regelung nachhelfen, die Axpo könnte beispielsweise einmal Art. 5 Abs. 2 Gefährdungsannahmenverordnung lesen.
Die Axpo greift ganz tief in die nukleare Mottenkiste:
Bevor die Axpo diese beiden fehlerhaften «Notstandsdiesel» in Betrieb nahm, war die Notstromversorgung gemäss eigenen Angaben durch das Hydrokraftwerk Beznau und bestehende Notstromdiesel im Werk gesichert.
Tatsache: das Hydrokraftwerk und bestehenden Notstromdiesel wurden gar nie gegen den Erdbebenstörfall qualifiziert. Die Kommission für die Sicherheit der Atomanlagen KSA forderte bereits 1980 die Nachrüstung eines Notstandssystems mit den hier diskutierten Notstromaggregaten als Auflage für eine Verlängerung der Betriebsbewilligung:
Planung und Bau des KKW Beznau erfolgten in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre, als noch keine allgemeinen Sicherheitsgrundsätze wie die «General Design Criteria» etabliert waren (vgl. 5.3). Auch für nuklear relevante Funktionen wurde weitgehend konventionelle Kraftwerkstechnik angewandt. Dementsprechend sind redundante Stränge nicht separiert oder Teile der sicherheitsrelevanten Stromversorgung durch Räume mit heissen druckführenden Leitungen geführt worden. Für das sichere Funktionieren wichtige periphere Systeme wurden nicht gegen die zu erwartenden äusseren Einwirkungen spezifiziert oder entsprechend qualifiziert. Ende der Siebzigerjahre erkannte die ASK diese Schwachstellen und forderte ein Nachrüsten der beiden Beznau-Blöcke mit Notstandsystemen. Eine entsprechende Auflage wurde 1980 in der Verlängerung der Betriebsbewilligung für das KKB II gemacht. […]
Deshalb wurde der Betreiber veranlasst, sowohl für das KKB I als auch für das KKB II ein entsprechend umfangreiches Nachrüstprogramm aufzustellen. Dies betraf in erster Linie den Bau eines Notstandsystems und die Verbesserung der Notstromversorgung. Diese Forderungen wurden in die Verlängerung der Betriebsbewilligung über das Jahr 1980 hinaus als Auflagen aufgenommen. […]
Die durch die Nachrüstung zu behebenden Unzulänglichkeiten betrafen ungenügenden Schutz gegen äussere und innere Ereignisse sowie einige weitere Schwächen der vorliegenden Anlage.
Nötige Massnahmen gegen äussere Ereignisse waren besserer Schutz mit entsprechender Qualifikation gegen Erdbeben, externe Überflutung, Verlust der Stauhaltung, Blitzschlag, Flugzeugabsturz und Einwirkungen Dritter.
Quelle: Roland Naegelin, Mitglied der KSA 1970-1980, Direktor der HSK (heute ENSI) 1980 bis 1995, Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen 1960-2003, Seiten 319 bzw. 335.
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