„Fake Tech“ – Atomwunschdenken am konkreten Beispiel


Ein AKW mitten in der Grossstadt? Bild: Transatomic/Real Leaders.

Die endlich etwas ernsthafter stattfindende Klimawandeldiskussion befeuert neue Atomphantasien. Zwar lässt es sich nicht mehr so leicht leugnen, dass bisherige AKW-Konzepte zu unsicher und zu teuer sind, aber die Lobby verspricht ersatzweise eine utopische Zukunft mit AKWs der sogenannt vierten Generation. Nie wurde diese Idee publikumswirksamer verkauft, als mit dem „Waste-Annihilating Molten-Salt Reactor“ (WAMSR), also ein „Abfall-Vernichtender Flüssigsalz-Reaktor“.

Dieser Artikel zeigt am konkreten Beispiel, wie der weltweit erfolgreiche Ausbau der Neuen Erneuerbaren durch das „Versprechen einer noch besseren Lösung“ sabotiert werden soll, wie durchdringend eine PR-Maschinerie sein kann, wenn die Überbringerin so erfrischend allen Clichés widerspricht, wie leichtgläubig geneigte Kreise in Wissenschaft und Politik solche Wundermittel schlucken, wie stark sich die Proponenten dieser „Lösung“ an reinem Wunschdenken orientieren, sich grenzenlos selbst überschätzen—und schliesslich wie verfehlt es wäre, sich im Kampf gegen den Klimawandel zurückzulehnen und an eine solche „Rettung durch die Atomkraft“ zu glauben.

Das Wunder

Sie wurde von Anfang an gefeiert. Leslie Dewan, die junge Chefin des mit ihrem Kollegen Mark Massie gegründeten Startups Transatomic: vom Forbes Magazin als eine von „30 Under 30 in Energy“, vom MIT Technology Review unter den „35 Innovators Under 35“, vom TIME Magazine als eine der „30 People Under 30 Changing the World“, das National Geographic sah sie als „Emerging Explorer“. In Davos wurde sie als „World Economic Forum Young Global Leader“ entdeckt.

What if we could build a nuclear reactor that costs half as much, consumes nuclear waste, and will never melt down? (MIT Technology Review)

Die frischgebackene Doktorin mit Fokus Computersimulation von Kernmaterialien versprach nichts Geringeres als das nukleare Schlaraffenland: Ein Reaktor der halb so viel kostet wie ein bisheriges AKW. Der nebenbei das weltweit ungelöste Problem des hochradioaktiven Abfalls beseitigt, indem er diesen mit immensem Energiegewinn verbrennt. Ein Reaktor der auch noch jede Kernschmelze ausschliessen soll.

Der WAMSR sollte 75-mal mehr Elektrizität aus dem Uran holen, als ein konventioneller Reaktor. Von einer Tonne Kernbrennstoff sollte lediglich 4 Kilogramm radioaktiver Abfall übrig bleiben bzw. 2.5% der Menge eines bisherigen AKW. Der Abfall sollte ausserdem nur wenige 100 statt 100’000 Jahre lang signifikant radioaktiv bleiben, weil ein grosser Anteil der langlebigen Actinoide verbrannt werden.

Man muss sich das vorstellen: Rund um die Welt könnte man viel Geld schon nur dadurch verdienen, dass man den anderen AKW den Müll abnimmt.

Das Geld fliesst

Kein Wunder flogen ihrer Firma die geneigten Investoren richtiggehend zu. Die Unterstützung kam aus dem Silicon Valley, aber auch vom Schweizer Multimillionär und Investor Daniel Aegerter bzw. seiner Armada Investment AG. Dass es sich um den Sohn der illustren Atombefürworterin Irene Aegerter („Kalt Duschen mit Doris„) handelt, dürfte eine Rolle gespielt haben („Ich hatte vielleicht schon radioaktive Muttermilch“). Der „neue“ Atomstrom sollte als „Erneuerbar“ verkauft werden, weil Abfall wiederverwendet wird:

“Transatomic’s technology has the potential to make nuclear power a renewable energy source by reusing nuclear waste. You rarely get the chance to work with entrepreneurs who have the potential to truly change the world, and Leslie is one of them,” said Daniel Aegerter.

Medien und Institutionen überschlugen sich mit fantastischen Artikeln und Videos. Die ganze Welt soll gerettet und mit den aufgehäuften 270’000 Tonnen hochradioaktiven Atommülls 72 Jahre lang unter Strom gesetzt werden, nota bene bei steigendem Verbrauch (man müsste sich nicht mal einschränken!).

Die Missionarin auch in der Schweiz

Die „Missionarin für die Atomenergie“ (Schweiz am Sonntag) spielte auch im Vorfeld der Ausstiegsinitiative eine Rolle und absolvierte eine regelrechte PR-Tour in der Schweiz, war Gast am ZURICH.MINDS und beim Nuklearforum.

Natürlich hätte auch dieser Wunder-Reaktor noch so ein paar Pferdefüsschen, die es zu erwähnen gäbe … aber es kommt eh anders.

Zu schön, um wahr zu sein

Dasselbe Magazin, das vorher den Innovationspreis verliehen hatte, deckte schliesslich im Februar 2017 die Fakten auf. Statt vom Faktor 75 bei der Elektrizitätsgewinnung, war nur noch von „mehr als zweifach“ die Rede. Von der Verwendung des nuklearen Abfalles konventioneller AKW war nun plötzlich nichts mehr lesen (also doch keine 70 Jahre globale Stromproduktion aus Müll). Stattdessen produziert der Reaktor selber zünftig neuen Abfall. Die schöne Grafik auf der Website wurde in kleinen aber entscheidenden Details geändert. Wer findet den Unterschied?

Animation: Die Transformation von Transatomic „The Science“, Aufnahme vom 4.6.2016 vs. 11.12.2016.

„Behauptungen komplett unwahr“

Was ist passiert? Bei Fachleuten sind Zweifel an all diesen fantastischen Behauptungen gewachsen und das Kernenergie-Departement am MIT machte sich zunehmend Sorgen um seinen Ruf, weil es stark mit Transatomic in Verbindung gebracht wurde. Ende 2015 untersuchte Kord Smith, ein Professor für Kernenergie am MIT die Papiere der Firma.

“I said this is obviously incorrect based on basic physics,” Smith says. He asked the company to run a test, which ended up confirming that “their claims were completely untrue,” Smith says. (MIT Technology Review)

Er fand sofort Fehler in den Berechnungen. Er bat Transatomic, einen Test durchzuführen, der bestätigte, dass „deren Behauptungen komplett unwahr“ waren. Eine 75-fache Effizienzsteigerung beim Kernbrennstoff zu versprechen, sei grob vergleichbar damit, zu sagen, man habe—in einem einzigen Schritt—ein Auto mit einem Verbrauch von weniger als einem Deziliter Benzin pro 100 km entwickelt [Einheiten umgerechnet].

Der Professor vermutete keinen bösen Willen, vielmehr fehlende Erfahrung und vielleicht Selbstüberschätzung. Er kritisiert, dass die Firma ihre Behauptungen nicht vorher einer unabhängigen wissenschaftlichen Begutachtung unterstellte.

Und dann?

Einen Fehler zu machen, ist keine Schande. Dass man wohl nicht mehr zu den 30 Leuten gehört, „die die Welt verändern“, tut weh. Einzusehen, dass man als „globale Anführerin“ die Welt in den Lauch geführt hat, ist auch eher unangenehm. Aber wenn man sich derart feiern liess, muss man auch hinstehen können und die Fehler offen eingestehen. Bei einer gefährlichen Technologie umso mehr. Oder?

Transatomic, wusste seit Anfang 2016 aus eigenen durchgeführten Tests, dass ihre Behauptungen „komplett unwahr“ waren. Im Juli 2016 produzierte Transatomic ein neues Whitepaper. Die Pressemitteilung erwähnt mit keinem Wort, dass sich Faktor 75 in Luft aufgelöst hat und kein Atommüll verbrannt werden kann, stattdessen werden einfach die doch eher unspektakulären verbleibenden Vorteile gegenüber Leichtwasserreaktoren aufgezeigt. Die neuen Fakten hinderten Leslie Dewan auch nicht daran, noch im September 2016 inkl. Hochglanzvideo im National Geographic (und gesponsert von Rolex) mit denselben falschen Behauptungen aufzutreten:


National Geopgraphic, „Can Reusing Spent Nuclear Fuel Solve Our Energy Problems?“

Bescheidenheit ist einfach nicht ihr Ding. Sie sieht sich allen Ernstes als Umweltschützerin und glaubt, persönlich mit Atomkraft die Welt retten zu können:

She calls herself an environmentalist at heart: “I think I can save the world with nuclear power.“

Es gab nie eine ehrliche Medienmitteilung über die faktisch komplette Demontage dieser „Fake Tech“. Auch im Januar 2017 präsentierte Transatomic die Berechnung ihres Reaktors durch das Oak Ridge National Laboratory, als „weitere Bestätigung unserer modernsten Technologie“.

Dr. Leslie Dewan, TAP’s CEO and co-founder, remarked that the outcome “serves as further validation of our cutting-edge technology, and lays the foundation for moving to our next technology development phase.”

Erst der MIT Artikel einen Monat später, brachte die unschönen Fakten ans Licht.

Doch die Story scheint einfach „zu schön, um unwahr zu sein.“ Noch immer lässt sich Leslie Dewan als „Genius“ feiern, einfach mit der Ausrede, ihre Firma sei zu klein gewesen, um den Traum zu verwirklichen (inkl. unverändertem Video mit „komplett unwahren Behauptungen“).

Unaufrichtigkeit scheint unspaltbar mit Atomideologie verbrütet zu sein (um es im Jargon zu sagen).

Was bleibt übrig?

Ohne die Wunder-Eigenschaften ist der Transatomic Flüssigsalzreaktor nun einfach eines von unzähligen unfertigen Designs. Mittlerweile ist die Firma eingegangen.

An der sogenannten Generation 4 wird seit Jahrzehnten—oft auch mit viel Steuergeld—ohne verwertbares Resultat geforscht. Es gelten physische Gesetze, welche Wunderlösungen verhindern. Der supereffiziente Reaktor der möglichst viel aus dem Spaltmaterial herausholen will und tatsächlich das Abfallproblem reduziert (schneller Brüter), ist aus den gleichen Gründen, dass er so effizient ist, eben auch viel gefährlicher.

Die Neuen Erneuerbare sind weltweit mittlerweile derart erfolgreich und billig, dass sachlich betrachtet nur noch totale Erkenntnisresistenz, blinde Ideologie und militärische Hintergedanken die Atomtechnologie am Leben erhalten.

Lassen wir uns nicht davon ablenken!

[leicht erweitert am 19.8.2019]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Leider wird dieses Formular von SPAM-Robotern missbraucht. Bitte beweisen Sie mit der folgenden Rechenaufgabe, dass Sie ein Mensch sind, vielen Dank. *