Mehr Kohlestrom aus dem Ausland? (Leserbrief)
In der Tageszeitung „Der Bund“ sind in letzter Zeit wiederholt Artikel erschienen, welche suggerieren, in Deutschland werde laufend mehr Kohlestrom produziert. So auch der Artikel „Mehr Kohlestrom aus dem Ausland“ vom 29.8.2013 (nicht online) und zuletzt das Editorial vom 5.9.2013:
Schon nur der Einstieg in den Atomausstieg läuft nicht so wie erwartet. Dank deutschen Milliardensubventionen für Sonnen- und Windenergie und der Wiederinbetriebnahme alter Kohlekraftwerke gibt es in Europa Strom im Überfluss. Der dadurch ausgelöste Preiszerfall hemmt in der Schweiz die für den Atomausstieg nötigen Investitionen – und führt zu mehr Import von Atom- und schmutzigem Kohlestrom. So haben sich viele den Ausstieg nicht vorgestellt.
[Front-Kommentar Patrick Feuz, Der Bund, 5.9.2013]
Wer die Fakten nicht kennt, könnte meinen, die Deutschen erkauften sich den Atomausstieg seit jeher mittels dreckigem Kohlestrom und das sei quasi die real existierende, traurige Realität der Energiewende.
Nach Fukushima wurden 8 AKW abgeschaltet, seither wurde tatsächlich mehr Kohlestrom erzeugt. Aber gibt diese kurzfristige Entwicklung die Realität der deutschen Energiewende wieder?
Weit gefehlt! Am 9.9.2013 erschien mein Leserbrief, den ich hier im ungekürzten Original wiedergebe:
Es ist schon erstaunlich, wie man gute Nachrichten ins Gegenteil umdrehen kann. Deutschland hat auch letztes Jahr wieder massiv mehr erneuerbaren Strom produziert (+15% zum Vorjahr). In den letzten 15 Jahren wurde der Erneuerbaren-Anteil von 5% auf 24% gesteigert. Der im Artikel beschworene Kohlestrom wurde im selben Zeitraum zurückgedrängt von 52% auf 44%, Atomstrom gleichzeitig von 31% auf 16%. Der Atom+Kohle-Anteil hat jedes einzelne Jahr abgenommen.
Die abrupte Abschaltung von 8 AKW nach Fukushima führte zu einem Rückschlag bei den Fossilen um ca. drei Jahre, die Entwicklung geht bereits wieder in die richtige Richtung. Braunkohle wird in Deutschland abgebaut, die Kumpel haben eine gute Lobby. Ihr Anteil dümpelt seit 15 Jahren unverändert bei 25%±2%.
Das Wachstum findet unter dem Strich alleine bei den Erneuerbaren statt. Wenn unsere Schweizer Stromwirtschaft zur Wende unfähig ist, importieren wir guten Gewissens einen Anteil von diesem Wachstum aus Deutschland. Gesamteuropäisch geht es seit 8 Jahren ebenfalls nur in die richtige Richtung (+60% Erneuerbare). Einzig die Schweiz macht auf hohem Niveau rückwärts.
Ich beziehe mich bei diesen Angaben auf die offiziellen Statistiken:
Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990 bis 2012 nach Energieträgern
Quelle: Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990 bis 2012 nach Energieträgern, Stand 2. August 2013; Statistisches Bundesamt; Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie; BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.; Statistik der Kohlenwirtschaft e.V.; AG Energiebilanzen e.V.
Electricity generated from renewable sources, % of gross electricity consumption
Quelle: EUROSTAT: Electricity generated from renewable sources, Code: tsdcc330
Die Schweiz macht – wenn auch auf sehr hohem Niveau – im Vergleich zu den Ländern der EU rückwärts.
[Foto oben: Amsterdam, Niederlande]
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