Am 11. April: Öffentliche Urteilsberatung Bundesgericht

Bundesgericht Säulen

Am kommenden Freitag, 11. April 2014 findet am Bundesgericht in Lausanne eine öffentliche Urteilsberatung zu unserem Fall „mobile Pumpen“ [AKW Mühleberg] statt. Dabei wird aber noch nicht der eigentliche sicherheitstechnische Streitpunkt beurteilt, sondern erst die formale Frage, ob wir überhaupt das Recht haben, Handlungen der Atomaufsichtsbehörde ENSI vor Gericht zu ziehen. Die Vorinstanz Bundesverwaltungsgericht hat uns dieses Recht zugesprochen.

In den letzten Jahren wurden umfassende Gesetzesrevisionen vorgenommen (Bundesverfassung 2000-2007, Kernenergiegesetz 2005, Totalrevision der Bundesrechtspflege 2007) und überhaupt erst das Rechtsmittel geschaffen, auf welches wir uns stützen. Es geht folglich um ein wichtiges Grundsatzurteil sowohl zum Rechtsmittel im Allgemeinen als auch zu dessen Anwendung in Sachen Nuklearer Sicherheit im Speziellen.

Hintergrund: Atom- und Grundrecht im Wandel der Zeit

Nach altem Atomgesetz von 1959 konnten betroffene Anwohner nur im Bewilligungsverfahren Beschwerde gegen ein AKW erheben. Über die Beschwerde entschied abschliessend der Bundesrat, welcher in der Praxis sämtliche vorgebrachten Sicherheitsmängel vom Tisch wischte (auch solche, deren Behebung zwanzig Jahre später/nach Fukushima auch das ENSI forderte; jedenfalls bis vor kurzem).

Einmal (unbefristet) bewilligt, blieb ein Atomkraftwerk für Anwohner rechtlich praktisch (unbefristet) unantastbar.

Das Verhältnis zwischen Bürger und Staat hat sich aber weiterentwickelt. Heute anerkennt man zunehmend, dass Behörden nicht unfehlbar/unbeeinflussbar sind und gerade auch im Bereich der Aufsichtsbehörden die Gefahr der Verbandelung mit den Beaufsichtigten besteht (Regulatory Capture). Gefragt sind deshalb mehr Unabhängigkeit, Transparenz und Kontrolle.

Um diesen Ansprüchen Rechnung zu tragen, wurde die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), insbesondere das „Recht auf ein faires Verfahren“ und das „Recht auf wirksame Beschwerde“ zunehmend so ausgelegt, dass Betroffene ihre Grundrechte auch gegen eine Behörde vor Gericht  durchsetzen können (Rechtsschutz). Bei der Totalrevision der Bundesverfassung wurde in diesem Sinne die Rechtsweggarantie als Grundrecht neu eingeführt und später mit der Totalrevision der Bundesrechtspflege konkretisiert und in Kraft gesetzt (s.u.).

Rechtspflegekompetenzen des Bundesrates (wie die Erteilung von Bewilligungen im alten Atomrecht) wurden ihm entzogen. Sie „entbehren der inneren Rechtfertigung und können heute nur noch historisch erklärt werden“ hiess es in der Botschaft dazu und vielsagend: „Als politische Behörde kann der Bundesrat bei der Beurteilung von Beschwerden geneigt sein, politischen Erwägungen stärkeres Gewicht beizumessen als den rechtlichen Überlegungen.“ An Stelle des Bundesrates sollte ab 2007 das neu geschaffene, von den Behörden unabhängige Bundesverwaltungsgericht entscheiden.

Die Anpassung an die Totalrevision der Bundesrechtspflege wurde auch beim neuen Kernenergiegesetz (KEG) vorweggenommen (Botschaft, „Rechtsschutz“, Seite 2793). Das von Grund auf neu geschriebene KEG trat 2005 in Kraft und ersetzte das alte Atomgesetz.

Im Rahmen der Totalrevision der Bundesrechtspflege wurde im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG) schliesslich der Artikel 25a geschaffen, auf welchen wir uns im Verfahren berufen (Rechtsmittel). Erst seit 2007 können Betroffene direkt gestützt auf geschriebenes Gesetz von einer Behörde verlangen, dass sie „widerrechtliche Handlungen unterlässt, einstellt oder widerruft“, „die Folgen widerrechtlicher Handlungen beseitigt“ oder „die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt.“

Am kommenden Freitag, 11. April werden wir sehen, wie das Bundesgericht diese neuen Gesetze auslegt.

Die internationale Perspektive

Wer auch noch den internationalen Vergleich sucht, kann erkennen, dass dieses weiterentwickelte Rechtsverhältnis zwischen Bürger und Staat breit etabliert ist. Die Aarhus Konvention (1998), welche nun auch die Schweiz per 1. Juni 2014 in Kraft setzt, fordert ebenfalls, dass Rechtsuchende „Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstossen“ (Artikel 9 Aarhus-Konvention).

UNECE Aarhus Konvention - Karte

Karte: United Nations Economic Commission for Europe (UNECE), Map of Parties and Signatories to the Convention [rote Anmerkung hinzugefügt]

 

 

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