Untersuchung zeigt: Filz-Vorwürfe an ENSI berechtigt

Auch wenn ENSI und ENSI-Rat in ihren Medienmitteilungen „Abklärungen widerlegen Filz-Vorwürfe“ und „Externe Abklärung bestätigt Unabhängigkeit des ENSI“ das Gegenteil behaupten: das Gutachten aus einer Untersuchung im Auftrag des ENSI-Rates bestätigt die Filz-Vorwürfe von Marcos Buser und Walter Wildi klar.

Wer sich die Mühe macht, das Gutachten selber zu lesen, kann dies rasch feststellen:

Vorwurf: Beaufsichtigte nehmen in unzulässiger Weise Einfluss auf Sitzungsprotokolle.

Befund der Gutachterin:

Auf Grund der uns gezeigten Dokumente und der von uns geführten Gesprächen kommen wir zu folgendem Schluss: Es trifft zu, dass bei verschiedenen uns bekannten Sitzungen, bei denen Mitarbeitende des ENSI protokolliert haben, das Protokoll vollständig an Mitarbeitende der NAGRA zur Korrektur zugestellt worden ist, bevor die übrigen Teilnehmenden der Sitzung das Protokoll erhalten haben (wir bezeichnen diesen Prozess im Folgenden als „Vorvernehmlassung“ bei der NAGRA). Die Mitarbeitenden der NAGRA haben bei dieser Vorvernehmlassung nicht nur die von ihnen an der Sitzung vorgetragenen Inhalte im Protokoll, sondern auch Aussagen, die von anderen Teilnehmenden an der Sitzung gemacht wurden, korrigiert. Die Veränderungen sind in zwei uns von der NAGRA überlassenen Protokollen gemessen am Gesamtumfang des Protokolls sehr umfangreich. Die Protokolle wurden nach der Vernehmlassung bei der NAGRA allen Sitzungsteilnehmenden zugestellt und verabschiedet.

Vorwurf: Beaufsichtigte nehmen in unzulässiger Weise Einfluss auf Gutachten des ENSI.

Befund der Gutachterin:

Es ist uns ein Gutachten des ENSI bekannt (Sicherheitstechnisches Gutachten zum Vorschlag geologischer Standortgebiete des ENSI vom Januar 2010), bei dem eine solche Vorvernehmlassung erfolgt ist, in deren Rahmen auch eine Besprechung zwischen Mitarbeitenden des ENSI und der NAGRA stattgefunden hat. Diese Sitzung wurde nicht protokolliert. An der Sitzung wurde das Gutachten des ENSI besprochen und dem ENSI von der NAGRA Änderungsvorschläge am Dokument übermittelt. Das ENSI hat diese Änderungen berücksichtigt und in die Version des Gutachtens verarbeitet, die in die offizielle Vernehmlassung gegeben worden ist. […]

Vorwurf: Beaufsichtigte nehmen in unzulässiger Weise Einfluss auf Vorgaben des ENSI.

Befund der Gutachterin:

Zur generellen Frage der Einflussnahme der NAGRA auf Vorgaben des ENSI ergab sich auf Basis der Interviews beim ENSI ein differenzierter Befund:

  • Einerseits wird betont, dass die Kontakte und Diskussionen zwischen ENSI und NAGRA im Rahmen des Sachplanverfahrens notwendig seien, um einen Grossteil möglicher Fehler und Missverständnisse bei der Beurteilung der NAGRA auszuschliessen. Daher seien die Kontakte zwischen ENSI und NAGRA zwar intensiv, aber sachgerecht. […]
  • Andererseits wurden uns im Rahmen der Interviews zwei Beispiele von Abklärungen genannt, die vom ENSI lanciert worden sind, bei denen sich die NAGRA nach Bekanntgabe der Abklärungen von sich aus eingeschaltet und die Abklärungen übernommen hat. Dies hat nach Aussage der Befragten nicht zu einer inhaltlichen Abschwächung oder zu einer geringeren Qualität der Abklärungen geführt, im Gegenteil: Die NAGRA habe die von ihr übernommenen Abklärungen besonders gründlich betrieben. Hingegen treffe es zu, dass sie die Federführung vom ENSI übernommen hätte.

[Hervorhebung hinzugefügt]

Das Gutachten behandelt noch weitere Kritikpunkte. Wenn man „Filz“ als unzulässige Absprache und fehlende professionelle Distanz zwischen Aufsicht und Beaufsichtigten versteht, dann werden sämtliche diesbezüglichen Vorwürfe zweifellos bestätigt.

Die Beschuldigten geben zwar zu, die „Vorvernehmlassung“ habe stattgefunden und Beaufsichtigte hätten tatsächlich fallweise die „Federführung vom ENSI übernommen“. Sie beteuern aber, man habe diese Gelegenheiten nie „inhaltlich“ oder „materiell“ ausgenutzt, um die Aufsichtstätigkeit zu unterlaufen. Zum „Beweis“ händigen sie der Gutachterin einzelne diesbezüglich unbedenkliche Belege aus.

Die Gutachterin konnte diese Schutzbehauptungen im Rahmen der Untersuchung nicht vertieft prüfen. Zu den einzelnen Vorwürfen (Reihenfolge wie oben aufgeführt) schreibt sie jeweils unter der Überschrift „Grenzen der Bewertung“:

Wenn die Bewertung quantitativ beurteilt werden soll, so wäre eine systematische Prüfung einer grossen Zahl von Protokollen notwendig bei gleichzeitig inhaltlicher Überprüfung der vorgenommenen Änderungen durch Spezialisten mit fachtechnischen Kenntnissen. Dies wurde im Rahmen dieser Untersuchung nicht durchgeführt.

Es wurde keine systematische Prüfung von Gutachten des ENSI im Hinblick auf die geäusserte Kritik vorgenommen.

Der Werdegang der drei Forschungsvorhaben wurde inhaltlich nicht im Detail nachgezeichnet. Ebenso wurde die Diskussion um die Abklärung zu Schacht und Rampe von Interface inhaltlich nicht vertieft abgeklärt.

Folglich ist auch die „Gesamtwürdigung“ der Gutachterin wenig aussagekräftig:

Es wurden keine Indizien dafür gefunden, dass die NAGRA Manipulationen im Sachplanverfahren oder dem Umfeld des Sachplanverfahrens vornimmt, welche die Fachkompetenz und Unabhängigkeit des ENSI grundsätzlich in Frage stellen.

Die Gutachterin spricht jedoch eine Reihe von Empfehlungen aus. In allen beanstandeten Punkten soll die Praxis des ENSI geändert werden.

Die Gutachter haben insgesamt sechs Kritikpunkte an der Arbeit des ENSI einer Prüfung unterzogen. Die Erhebungen haben Schwächen zu Tage gebracht und weisen auf Verbesserungspotenziale hin.

Somit hat die Kritik der Herren Buser und Wildi bereits handfeste, positive Auswirkungen gegen den Filz im ENSI. Ich bedanke mich an dieser Stelle für ihr mutiges Anprangern dieser Missstände.

Das Thema ist auch überhaupt noch nicht erledigt. Die Gutachterin empfielt eine breitere Untersuchung:

Empfehlung

Gemäss heutigem Wissensstand empfehlen wir, zu prüfen, ob die nicht geklärten Aspekte einer breiteren Untersuchung unterzogen werden sollen. Der ENSI-Rat soll diese Frage mit der Geschäftsleitung einerseits und dem UVEK andererseits diskutieren.

Es ist doch zu hoffen, dass diese Forderung von der Politik aufgenommen und mit Nachdruck verfolgt wird.


Nachtrag:

Die Tagesschau des Schweizer Fernsehen scheint nicht auf die irreführenden Medienmitteilungen reingefallen zu sein. Jedenfalls nicht im Sendungsbeitrag.


Standbild: SF Tagesschau vom 3.12.2012, 19:30, Beitrag 6

 


Nachtrag vom 6.12.2012:

Die Internet-Zeitung INFOsperber zeigt in seinem Artikel „Hintergründe zum Persil-Gutachten der Atomaufsicht“ weitere sehr interessante Fakten auf, welche die Filzfrage auch auf BFE und auf ein Mitglied des ENSI-Rates (als Besteller der Untersuchung) erweitern.

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