ENSI verlängert unsicheren Betrieb des AKW Mühleberg um weitere zwei Jahre bis 2017

Das ENSI hat der BKW ein dickes Weihnachsgeschenk gemacht: Zwei weitere Jahre unsicheren Betrieb bis 2017. Wahlweise ohne nachrüsten zu müssen. Eine schöne Bescherung.

Das Sicherheitsproblem

(Um nur eines von vielen zu nennen.)

Das AKW Mühleberg ist das einzige AKW der Schweiz und neben dem tschechischen AKW Dukovany das einzige in ganz Europa, welches nur über eine einzige Kühlwasserversorgungsquelle (Fachbegriff: ultimative Wärmesenke) verfügt. Es kann sein Kühlwasser auch im Notfall nur aus der Aare beziehen.

Am 5. Mai 2011, zwei Monate nach der Nuklear-Katastrophe von Fukushima, hatte das ENSI endlich ein Einsehen und ordnete dem AKW Mühleberg die „Nachrüstung einer erdbeben-, überflutungs- und verstopfungssicheren Kühlmittelversorgung für das Notstandsystem“ an.

Damit gab es auch den Kritikern Recht, die genau diesen Mangel seit mehr als 20 Jahren beklagten. Die Kehrtwende der Aufsicht hat dann auch das Bundesverwaltungsgericht bemerkt.

Am 7. September 2011 bescheinigte das ENSI dem AKW Mühleberg, es beherrsche (auch ohne diese Nachrüstung) das gesetzlich geforderte Auslegungs-Hochwasser. Zwar sei es möglich, dass die einzige Kühlwasserfassung durch mitgeschwemmtes biologisches Material verstopfe, das sei aber kein Problem, man könne dann mit mobilen Feuerwehrpumpen abhelfen. Der Zustand sei „knapp im grünen Bereich“, jedoch nicht für den Langzeitbetrieb zulässig. Die Nachrüstung der zusätzlichen Kühlmittelversorgung sei ja bereits angeordnet.

Wie wiederholt dargelegt, bin ich ganz anderer Meinung. Das AKW Mühleberg kann vor der Nachrüstung einer voll sicherheitsqualifizierten Wärmesenke nicht als sicher gelten und müsste nach dem Gesetz unverzüglich ausser Betrieb genommen werden.

Die Frist zur Nachrüstung

Am 31. Oktober 2011 stellte das ENSI seine „Lessons Learned“ aus Fukushima vor und versprach, dass alle Massnahmen bis 2015 umgesetzt werden sollen:

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI hat aber eine Vielfalt von Erkenntnissen (Lessons Learned) aus Fukushima identifiziert, die jetzt zur weiteren Optimierung der Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke genutzt werden sollen. Bis 2015 sollen alle Massnahmen umgesetzt sein, die aufgrund dieser Erkenntnisse ergriffen werden müssen.

Schon am 31. August 2011 hatte das AKW Mühleberg seinen Bericht zur geforderten Nachrüstung eingereicht:

Für die Umsetzung der geplanten Nachrüstmassnahmen erachtet das KKM einen Zeitrahmen von etwa 36 Monaten nach Freigabe durch das ENSI als realistisch.

Am 15. November 2011 nimmt das ENSI zum Nachrüst-Bericht des AKW Mühleberg Stellung:

Das ENSI hält den Zeitplan zur Umsetzung der geplanten Ertüchtigungsmassnahmen für angemessen und fordert das KKM auf, die erforderlichen Antragsunterlagen der Hierarchiestufe 1 wie folgt einzureichen […]
• für die Nachrüstung einer erdbeben-, überflutungs- und verstopfungssicheren Kühlmittelversorgung des Notstandsystems […] bis Ende Juni 2012.

Damit schien alles klar: Freigabe im Juni 2012, Umsetzung in 36 Monaten bis 2015.

Die Versprechungen

In der Folge wird das Datum 2015 überall zugesichert. Um nur einige wichtige Stellen zu nennen:

ENSI plans to take all the necessary actions identified to date and enforce the derived measures as demanded in its mandate of national nuclear safety authority by the end of 2015.

Noch am 4.10.2012 zum EU Stresstest Abschlussbericht nennt das ENSI diese Frist per Ende 2015. Dazu sollte man auch anmerken, dass sich die EU das selbe Zieldatum gesetzt hat und das ENSI wohl vorerst vermeiden wollte, in Europa als Schlusslicht dazustehen:

In ihrem heute vorgelegten Bericht zum EU-Stresstest ortet die EU-Kommission bei allen 132 Kernkraftwerken in der Europäischen Union Bedarf für Nachbesserungen, welche bis 2015 umgesetzt werden sollten.

Das Bremsmanöver

Am 17.12.2012 informiert die BKW die Öffentlichkeit, dass sie erst Ende 2013 über die Nachrüstung entscheiden wolle. Eine sehr eigenwillige Ankündigung, wenn man bedenkt, was das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil zwar noch nicht rechtskräftig, aber immerhin – klipp und klar festhält (A-667/2010, Ziffer 5.3.3, Ausschnitt, Hervorhebung hinzugefügt):

Es kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass für die Behebung der genannten Mängel grosse Investitionen erforderlich sind, die nur bei einer erheblichen Verlängerung der Laufzeit des KKW wirtschaftlich sein dürften. Im Interesse der Rechts- und Investitionssicherheit sowie um eine gesamthafte Beurteilung der Situation überhaupt erst zu ermöglichen, ist ein umfassendes Instandhaltungskonzept erforderlich, das eine gesamthafte Beurteilung zulässt. Es geht nicht an, ein KKW, das bereits so lange in Betrieb ist, auf Zusehen weiter zu betreiben und hierbei allein auf die laufende Aufsicht zu vertrauen. Die bisherige schrittweise Nachrüstung der Anlage ohne Gesamtkonzept ist weder bezüglich der Rechtssicherheit noch der Wirtschaftlichkeit noch der Gewährleistung der Sicherheit befriedigend.

Die heute bekannten offenen bedeutsamen sicherheitsrelevanten Aspekte – namentlich der Zustand des Kernmantels, die offenen Fragen im Zusammenhang mit der Erdbebensicherheit und die fehlende von der Aare unabhängige Kühlmöglichkeit – rechtfertigen eine erneute Befristung der Betriebsbewilligung gestützt auf Art. 21 Abs. 2 KEG bis zum 28. Juni 2013. Wenn die Beschwerdegegnerin das KKW Mühleberg über diesen Zeitpunkt hinaus betreiben möchte, so müsste sie dem UVEK frühzeitig ein Verlängerungsgesuch für die Betriebsbewilligung einreichen, welches ein umfassendes Instandhaltungskonzept enthält. Darin hätte sie darzulegen, welche Massnahmen sie in welchem Zeitraum ergreifen möchte, damit die heute bekannten und allenfalls neu auftretende Mängel behoben werden und der Betrieb auch längerfristig den Sicherheitsanforderungen genügt, welche Kosten damit verbunden wären und für welchen Zeitraum sie den Weiterbetrieb des KKW Mühleberg beantragt. Sollte die Beschwerdegegnerin kein Verlängerungsgesuch mit einem umfassenden Instandhaltungskonzept einreichen, erlischt die Betriebsbewilligung am 28. Juni 2013.

Die BKW scheint sich überhaupt nicht davon beeindrucken zu lassen. Bleibt abzuwarten, wie dies das Bundesgericht sieht.

Weil die BKW die Medien-Mitteilung so kurz vor der geplanten ENSI-Stellungnahme zum Langzeitbetrieb des KKM lancierte, stellen sich manche auch die Frage, welche „Signale“ hier an das ENSI gesendet wurden.

Das Geschenk

Vier Tage später, am 21.12.2012 machte das ENSI seinem Ruf einmal mehr alle Ehre. Ohne Angabe von Gründen und ohne dies auch nur zu erwähnen, wurde die bisherige Frist 2015 fallen gelassen, als hätte es sie nie gegeben. Generös wird nun eine Frist bis 2017 gewährt:

„Zur Zeit erfüllt das Kernkraftwerk Mühleberg die im Gesetz festgeschriebenen sicherheitstechnischen Mindestanforderung und verfügt auch über die vom ENSI verlangten zusätzlichen Sicherheitsmargen“, stellt Georg Schwarz, Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke und stellvertretender ENSI-Direktor fest. Einem Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg stehe deshalb zurzeit nichts entgegen. „Aber einem Betrieb über das Jahr 2017 hinaus kann die Aufsichtsbehörde nur zustimmen, wenn die die BKW umfassende Nachrüstungen realisiert“, betont er. „Mit diesen Nachrüstungen wird die Sicherheit des Kernkraftwerks Mühleberg auf den neuesten Stand der Nachrüsttechnik gebracht.“

Dabei wurde jedoch nicht „nur“ das Datum verschoben. Wie dieses neue schöne Angebot zu verstehen ist, machte in der SonntagsZeitung der BKW-Verwaltungsratspräsident Urs Gasche klar:

BKW-Verwaltungsratspräsident Urs Gasche sagt erstmals, dass ein Abschalten des Kernreaktors Mühleberg bis 2017 eine ernsthafte Option sei. Denn der Konzern muss gemäss neuen Vorgaben des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) umfangreiche Nachrüstungen vornehmen, wenn er das AKW länger als bis 2017 laufen lassen will. «Es ist für uns absolut offen, ob wir aus wirtschaftlicher Sicht die Investitionen noch tätigen können oder wollen oder ob wir einen Schliesszeitpunkt um 2017 ins Auge fassen müssen», sagt Gasche zur SonntagsZeitung.
[…]

Der Konzern kann entweder auf die vom Ensi geforderten Massnahmen verzichten und Mühleberg 2017 abstellen. Oder er kann das Geld in die Hand nehmen […]

Das AKW bekommt also einen Freipass, wahlweise auch ohne Nachrüstung bis 2017 betrieben zu werden. Damit wird die Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts (und damit seine Interpretation des Kernenergiegesetzes zur weiteren Bewilligung des Betriebs) nun wirklich mit Füssen getreten. Es ist zu hoffen, dass die Gerichte dies ebenso sehen und dieser Unverfrorenheit per Juni 2013 ein wohlverdientes Ende setzen.

In der Zwischenzeit hat das ENSI der BKW ein dickes Weihnachsgeschenk gemacht: Zwei weitere Jahre unsicheren Betrieb bis 2017 und offenbar die Option, je nach Wunsch so lange auch gar nicht nachrüsten zu müssen. Am Schluss lässt das ENSI dann sicherlich nochmals mit sich reden. Das sollten wir nun wirklich gelernt haben.

Wahrlich eine schöne Bescherung!

Fotos: M. Kühni, Weihnachtszeit 2010/2011

[Artikel leicht revidiert am 25.12.2012]

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