Der Bund: „Nuklearprofessor: AKW Mühleberg weist grundlegenden Sicherheitsmangel auf“

In seiner Ausgabe vom 22. Mai 2012 schreibt Der Bund im Artikel „Nuklearprofessor: AKW Mühleberg weist grundlegenden Sicherheitsmangel auf“ (Seite 17) über Erkenntnisse aus dem EU Stresstest. Von Simon Thönen.

Der ungarische Nuklearprofessor und EU-Experte Attila Aszódi kritisiert das Fehlen einer zweiten Quelle für die Kühlung des Reaktors. Dass notfalls die Feuerwehr einspringen würde, sei keine Alternative zu einer zweiten Kühlquelle.

Hintergrundinformationen zu Prof. Dr. Attila Aszódi:

Herr Prof. Aszódi hatte sich bereits an einem öffentlichen Anlass der ungarischen Aufsichtsbehörde über den EU Stresstest entsprechend zu Mühleberg geäussert, was ich unter anderem dank meiner Teilnahme am EU Stresstest Public Meeting in Brüssel erfahren und nach einigen Nachforschungen an Herrn Thönen weiter geleitet habe.

Herr Aszódi war Mitglied der EU Stresstest Expertengruppe „Topic 2: Consequential loss of safety function“, welche die Querschnitt-Analyse über den schrittweisen Verlust von Sicherheitsfunktionen, wie der Stromversorgung (Station Blackout, SBO) und der ultimativen Wärmesenke (loss of Ultimate Heat Sink, UHS) für alle AKW durchführte.

Sie waren im EU-Stresstest für AKW-Sicherheit einer der Experten für Probleme, die alle AKW betreffen können. Was hat der Stresstest gebracht?
Ich arbeitete in der Expertengruppe, die sich mit dem Ausfall von Sicherheitsfunktionen befasste. Was passiert, falls die Notkühlung oder die Stromversorgung eines Reaktors zusammenbricht? Interessant und hilfreich ist, dass die Querschnitt-Analyse, die wir in Luxemburg durchführten, die erste Gelegenheit war, bei der alle europäischen Kernkraftwerke verglichen wurden.

Das AKW Mühleberg war dort offenbar ein heisses Thema, zusammen mit dem tschechischen AKW Dukovany:

Interessant ist: Das EU-Expertenteam befasste sich in Luxemburg mit einem Problem, das im tschechischen AKW Dukovany wie auch in Mühleberg existiert: Es fehlt eine zweite Quelle für die Notkühlung.
Bei beiden fehlt eine Alternative zur sogenannten ultimativen Wärmesenke. Mit dem Abschalten wird die Wärmeproduktion im Reaktor nicht vollständig gestoppt, der nukleare Zerfallsprozess geht weiter. Um die Brennstäbe in einem sicheren Zustand zu halten, muss der Reaktor über längere Zeit gekühlt werden, man muss Wasser ins Werk bringen. Diese ultimative Wärmesenke ist entscheidend. Deshalb müssen alle KKW so ausgelegt sein, dass eine Alternative vorhanden ist, um die Wärme auch in dem sehr unwahrscheinlichen Fall abzuführen, wenn die normale Wärmesenke ausfällt. In den meisten KKW ist – neben der normalen Wasserversorgung aus einem Fluss – ein Grundwasserbrunnen oder ein spezieller Kühlturm die zweite Wärmesenke.

[…]

Sie betonten auch, dass dieses Problem schon in den 70er- oder 80er-Jahren hätte gelöst werden müssen.
Das stimmt: Es war von Beginn weg für Betreiber und Behörden klar, dass dies wichtig ist. Es ist wirklich eine sehr grundlegende Sicherheitsanforderung. Dies wegen des gefährlichen Materials, das in den Werken behandelt wird. Es ist zwar sehr einfach, dieses in sicherem Zustand zu halten, aber dafür braucht man Wasser. Man muss vorbereiten, dass Kühlwasser unter allen Umständen in den Reaktor geführt werden kann. Denn die Sicherheitssysteme müssen gekühlt werden.

Soweit hatte sich Herr Aszódi auch schon in Ungarn geäussert. Herr Thönen stellte aber selbstverständlich die nächste logische Frage zur ultimativen Wärmesenke, dem von mir heftigst kritisierten Einsatz von mobilen Feuerwehrpumpen innerhalb des 10’000-jährlichen Auslegungshochwassers:

Letzten Sommer zeigte eine Studie für Mühleberg, dass die Notkühlung bei einem Hochwasser verstopfen könnte. Entspricht es einem anspruchsvollen Verständnis von Sicherheit, dass dann notfalls Feuerwehrleute eingesetzt würden?
Der Einsatz der Feuerwehr ist eine Zusatzmassnahme für den Fall, dass man alles verloren hat. Für ein KKW braucht man wirklich fest installierte technische Systeme, um die Wärmesenke zu garantieren. Zum Thema Hochwasser ist wichtig: Naturkatastrophen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10’000 pro Jahr müssen mit fest installierten System beherrscht werden. Die Frage für Mühleberg ist: Wie wahrscheinlich ist das Ereignis, das die Wasserzufuhr ausser Kraft setzen könnte?

Es war 1:10’000, denn dies war die Vorgabe der Nuklearaufsicht für die nationale Fukushima-Überprüfung.
Ich betone noch einmal und sehr klar: Die internationale Sicherheitsempfehlung besagt, dass alle Ereignisse in der Auslegung des Reaktors berücksichtigt werden müssen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10’000 eintreten können. Nötig sind fest installierte Sicherheitssysteme, um diese Ereignisse zu beherrschen. Falls im Fall von Mühleberg die Wasserzufuhr bei einem solchen Ereignis ausfallen könnte, muss man eine zusätzliche Quelle für die Wärmesenke installieren. Der Einsatz von mobilen Pumpen und Feuerwehrleuten ist nur für auslegungsüberschreitende Ereignisse akzeptabel. Zum Beispiel bei einem Hochwasser, wie es nur einmal in 100’000 Jahren auftritt.

Es ist klar: die Aussage des Nuklearprofessors deckt sich zu 100% mit unserer Meinung. Der Bund-Artikel enthält auch einen Kasten, welcher unter dem Titel „Schützenhilfe für die AKW-Gegner“ ausführt:

Greenpeace und AKW-Kritiker Markus Kühni wollen mit einem Rechtsverfahren erreichen, dass das Ensi Mühleberg sofort abschaltet und erst wieder ans Netz lässt, wenn es nachgerüstet ist. Je nach Verlauf des Verfahrens könnte Mühleberg also noch vor dem Auslaufen der Betriebsbewilligung im Juni 2013, die das Bundesverwaltungsgericht angeordnet hat, vorläufig vom Netz gehen. Die Aussagen des ungarischen Nuklearprofessors Attila Aszódi sind in diesem Zusammenhang brisant, gerade weil sie von einem erklärten Anhänger der Nuklearenergie stammen.

[…]

Die für Greenpeace und Kühni interessanteste Aussage von Aszódi ist: Der Nuklearprofessor bekräftigt ihre Ansicht, dass Ereignisse mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10 000 pro Jahr mit fest installierten Sicherheitssystemen beherrscht werden müssen – also zum Beispiel mit einer alternativen Wärmesenke.

Abschliessend kommt das Interview auf die Medienmitteilung des ENSI zu sprechen, welche die Ergebnisse des EU Stresstest wie folgt vermeldet hatte:

EU-Stresstest: Hohes Sicherheitsniveau der Schweizer Kernkraftwerke bestätigt

Auch die Experten der European Nuclear Safety Regulators Group ENSREG erteilen den Schweizer Kernkraftwerken gute Noten. In ihrer Beurteilung des Länderberichts Schweiz zum EU-Stresstest kommen die EU-Sachverständigen zum Schluss: die Schweizer Kernkraftwerke erfüllen die internationalen Sicherheitsanforderungen in allen Bereichen. Für gewisse Aspekte erhält die Schweiz gar spezielles Lob.

[…]

Auch der Schutz gegen den Verlust der Ultimativen Wärmesenke, also der Kühlung des Reaktors, wurde als „herausragend“ bezeichnet.

Herr Thönen verweist auf diesen Widerspruch:

Im Schweizer Bericht wurde das Defizit in Mühleberg erwähnt. Dennoch erklärte das EU-Expertenteam, das den Bericht überprüft hatte, der Schutz gegen den Verlust der Wärmesenke sei in der Schweiz «herausragend». Ein Schulterklopfen unter Kollegen?
In den folgenden Sätzen des Expertenberichts wird das Fehlen einer alternativen Wärmesenke in Mühleberg erwähnt. Wenn man alles liest, ist es korrekt.

Die Schweizer Nuklearaufsicht zitierte in ihrer Pressemitteilung aber nur den lobenden Satz.
Um es höflich zu sagen: Das war wohl nicht optimal. Aber ich denke, der Schweizer Länderbericht war korrekt, der Fall Mühleberg wurde erwähnt.

Das ist wirklich „höflich gesagt“.

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