Der Sonntag: „Amtlich bewilligte Trickserei bei AKW-Erdbebensicherheit“

Rückblick vom Mai 2012:

In seiner Ausgabe vom 15. Januar 2012 berichtet Der Sonntag im Artikel „Amtlich bewilligte Trickserei bei AKW-Erdbebensicherheit“ (Seite 26) über meine Hinweise zum Thema Erdbeben und PEGASOS.

Von Yves Demuth (leider nicht online verfügbar).

Aus einem bisher unter Verschluss gehaltenen Dokument der Atomaufsicht geht jedoch hervor, dass den AKW-Betreibern einen Pauschalaufschlag von 50 Prozent auf errechnete Erdbebenfestigkeitswerte ausdrücklich erlaubt wurde.

Gewährt wurde der Aufschlag zwischen 2005 und 2008. Dies geht aus einem Brief an AKW-Betreiber vom Oktober 2008 hervor, der dem «Sonntag» vorliegt. Mühleberg-Kritiker Markus Kühni hatte, gestützt auf das gesetzlich verankerte Öffentlichkeitsprinzip, das Schreiben ausgehändigt erhalten.

Ein angefragter Spezialist für die Erdbebensicherheit von Infrastrukturbauwerken zeigt sich erstaunt, dass bei Kernanlagen ein solcher Aufschlag akzeptiert wurde. Kühni kritisiert die «blind gewährte» Erhöhung um 50 Prozent vehement. Er weist darauf hin, dass der Aufschlag in jenem Zeitraum gewährt wurde, als in Mühleberg die periodische Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wurde. Diese findet normalerweise nur alle zehn Jahre statt.

[…]

Aus dem erwähnten Schreiben geht jedoch hervor, dass der Pauschalaufschlag
im Zusammenhang mit einer «akzeptablen Umsetzung» der Resultate der Erdbebenstudie Pegasos stand. Diese von Experten verfasste Studie stellte die AKW-Betreiber 2005 vor Probleme, da sie ein grösseres Erdbebenrisiko offenbarte, als zuvor angenommen worden war.

Der Artikel geht auf eine Anfrage nach dem Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ) zurück, welche ich am 30.11.2011 gestellt hatte. Obwohl mir das ENSI 500 Franken Gebühren in Aussicht stellte, habe die entsprechenden Dokumente freigekauft.

Der entsprechende, „amtlich bewilligte Rechentrick“ ist einem Brief vom 23. Oktober 2008 zu entnehmen:

Mit Brief vom 28. Juni 2005 /1/ wurde eine aus Sicht der HSK akzeptable Umsetzung der PEGASOS Resultate /2/ festgelegt. Gegenstand dieser Festlegung waren im Wesentlichen folgende Punkte:

  • Für die PSA kann eine zeitweilige Gefährdunqskurve auf der Basis der um 20 % reduzierten PEGASOS-Beschleunigungen /2/ verwendet werden.
  • Die bisherigen Fragilities können bis zum Vorliegen aktualisierter Fragilityanalysen (spätestens jedoch bis Ende 2007) mit einem Faktor von 1.5 modifiziert werden.
  • Bei Neuerstellungen von sicherheitsrelevanten Gebäuden oder sehr umfassenden Nachrüstungen von sicherheitsrelevanten Systemen ist im Allgemeinen von den Original-PEGASOS Resultaten /2/ auszugehen. Im Zweifelsfall ist mit der HSK Rücksprache zu halten.

Man lernt gleich mehrere Fakten: ein Abzug von 20% wurde bereits Ende Juni 2005 gewährt. Erst Ende Juni 2007 wurde das Ergebnis von PEGASOS und der erlaubte Abzug von 20% auf der Stärke des Erdbebens öffentlich dokumentiert (Seite 12). Gleichzeitig verheimlichte das ENSI aber weiterhin, dass die Widerstandskraft von Gebäuden und Ausrüstungen (Fragilities) um den Faktor 1.5 hochgerechnet werden durfte.

Wenn man beide Nachlässe kombiniert, werden die PEGASOS-Werte effektiv auf 53% reduziert, damit sind fast wieder die alten Werte von 1977 erreicht.

Meine Meinung dazu: Diese Schlagzeile ist heftig, aber wohlverdient!

Noch eine interessante Information enthält der Brief:

Damals ging man davon aus, dass ein PEGASOS-Nachfolgeprojekt gestartet und bis Ende 2007 abgeschlossen wird.

Inzwischen wurde das Nachfolgeprojekt PRP („PEGASOS Refinement Project“) initiiert /3/. Voraussichtlich wird es jedoch erst in einigen Jahren abgeschlossen werden.

Hier wird aktenkundig, wie das ENSI das zweite Mal (nach 2004) eingeknickt ist und einer weitere Verzögerung der Anwendung von PEGASOS-Resultaten durch swissnuclear, dem AKW-Betreiber-Verband, zugestimmt hat. Das genannte PEGASOS Refinement Project läuft selbstredend noch immer. Acht Jahre nach dem formellen Abschluss der Original-Studie.

Freikauf Transparenz und Offenheit des ENSI nach BGÖ

ENSI Weisungen PEGASOS

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