Geld, Atom und Krieg

Rede zur 2200. Mahnwache / 11. Jahrestag Fukushima

Neue Atomkraftwerke braucht das Land … oder?

Die FDP will neue Atomkraftwerke, die SVP sowieso. Dabei wissen doch alle, dass diese erstens immer teurer werden, und zweitens als man denkt.

Mittlerweile ist neue Atomkraft im weltweiten Vergleich ca. viermal teurer als neue Windkraft und Solarkraft. Die Solarkraft hat einen beispiellosen Preiszerfall hinter sich, hat die Windkraft überholt und es scheint noch keine Talsohle erreicht.

Investoren bauen deshalb keine AKW, es sei denn es werde bodenlos staatlich subventioniert (wie in Frankreich), oder man bekomme Abnahmegarantien für den Strom, zum Wunschpreis (wie in Grossbritannien).

Aber warum wollen dann Parteien, die gemäss dem Cliché immer nur aufs Geld schaut, AKW bauen?

An dieser Stelle ein Einschub: Dies ist kein Parteien-Bashing. Im Gegenteil. Es muss doch unser Ziel sein, dass wir alle irgendwie am gleichen Strick ziehen: die Energiewende, Klimamassnahmen, endgültiger Atomausstieg. Wir können uns über das Wie streiten, aber nicht um das Ob! Es geht mir also um meine Konsternation über diese Parteien; warum um Himmels Willen sie so agieren, wie sie agieren.

Die These

Meine These ist, dass die bürgerlichen Partien sich irgendwie in eine Sackgasse verlaufen haben. Und dabei spielen eben Geld, Krieg und Atom zusammen. Das geht so:

Sozialwissenschafter, Historiker kennen den Begriff der Pfadabhängigkeit. Salopp gesagt: irgendwann in der Geschichte stehen Akteure an einem Scheideweg. Die Situation wird analysiert und die favorisierte Abzweigung gewählt. Bei einer Partei geht es natürlich um die eigenen politischen Absichten, seien diese offen deklariert oder eher versteckt. Nachher wird die Propagandamaschine raufgefahren, damit die Gesellschaft möglichst der gewählten Abzweigung folgt.

Vor allem dann, wenn tatsächlichen Absichten verdeckt waren, gibt es irgendwann nur noch die Propaganda. Die Partei fängt an, selber daran zu glauben. Das reflexartige Festhalten am gewählten Weg versperrt die Sicht auf die Fakten.

Pfadabhängige Prozesse sind also nicht selbstkorrigierend, sondern verfestigen unter anderem auch Fehler. [Wikipedia]

Das betrifft übrigens alle Parteien ziemlich gleichermassen. Es gibt auch auf der anderen Seite uralte Dogmen, welche die Energiewende gefährden.

Das Atom


Photo: George R. Caron

Am 6. August 1945 wurde die erste Atombombe über Hiroshima abgeworfen, sie tötete 90’000 Menschen sofort, weitere 50’000 Menschen starben innerhalb von Tagen bis Wochen an Strahlenkrankheit. Am 9. August 1945 kam Nagasaki dran, die Bombe tötete 36’000 Menschen sofort, weitere 40’000 Menschen starben unter Qualen in Tagen bis Wochen. [Wikipedia]

Die Schweizer Militärs waren begeistert.

Der (Kalte) Krieg

Die Schweiz schuf praktisch sofort die SKA zur Erforschung der Atomtechnologie. Offiziell zur zivilen Nutzung. Jedoch bereits am 5. Februar 1946 erfolgte die folgende Weisung von Bundesrat Karl Kobelt (FDP, Militärdepartement):

Die SKA soll überdies die Schaffung einer schweizerischen Bombe oder anderer geeigneter Kriegsmittel, die auf dem Prinzip der Atomenergie beruhen, anstreben. [4]

Das sollte aber natürlich geheim bleiben. Als das Parlament Verdacht schöpfte, wurde es am 18. Dezember 1946 brandschwarz von Bundesrat Kobelt angelogen:

Wir haben weder die Absicht noch wären wir in der Lage, Atombomben herzustellen. [4]

Ergebnis: gigantische 18 Millionen damalige Franken wurden für die Atomforschung gesprochen. Zum Vergleich: Das ordentliche Budget der ETH Zürich für Unterricht und Forschung belief sich 1946 auf knapp vier Millionen Franken. [2, Seite 172]

Im Kalten Krieg war der Wille zur Atombombe absolut, man schreckte vor nichts zurück. Man wollte Moskau bombardieren können, Stichwort Mirage-Affäre. Nicht einmal vor dem Einsatz von Atombomben auf dem eigenen Gebiet hatte man Hemmungen. Am 29. November 1957 äusserte sich Generalstabschef Louis de Montmollin:

Es gebe aber Fälle, in denen wir unbedingt Atomwaffen einsetzen müssten, selbst auf die Gefahr hin, dass die Zivilbevölkerung einen grossen Schaden erleiden würde. […] Man könnte unmöglich darauf verzichten,  nur aus Rücksichtnahme auf die Bevölkerung. [4]

Subventionitis ist sonst nicht so das Ding der Bürgerlichen, nur mit dem Hintergedanken, die Bombe haben zu wollen, lässt sich das weitere politische Verhalten meines Erachtens erklären. Ab 1958 wurde auch die Öffentlichkeit über das militärisch Vorhaben informiert. Es wurden laufend Hunderte von Millionen in die Atomforschung gesteckt. [3]

Das ist in Ländern mit Atomwaffen, atomgetriebenen U-Booten und Flugzeugträgern noch heute genau so. Letztens hat ja beispielsweise Macron diesbezüglich die Maske fallen gelassen. Die Technologie ist deshalb ein Zombie, welches immer wieder von den Toten aufersteht.

Aber die Schweiz hat dann immerhin 1988 offiziell das Atomwaffenprogramm eingestellt. Das ist jetzt auch schon ein Weilchen her, man sollte erwarten, dass man das auch in der FDP bemerkt hat. Was ist da also los?

Es gab da noch einen weiteren Effekt.

Das Geld

Dass selbst Kleinstaaten die Bombe wollten, passte den Amerikanern nicht. Neben Initiativen wie „Atoms for Peace“, mit Konferenzen in Genf (ab 1955) gab es die klar erkennbare Strategie, Atomtechnik und ihre Erzeugnisse zu Dumpingpreisen zu exportieren, um den Atomprogrammen anderer Länder den wirtschaftlichen Boden zu entziehen. Man wusste: damit gräbt man auch den mehr oder weniger versteckt angehängten militärischen Projekten das Wasser ab. Es ist quasi die Umkehrung es chinesischen Sprichworts: „Gib einem Mann jeden Tag einen Fisch und er lernt nie fischen“.

Das funktionierte in der Schweiz bestens: zum Beispiel wurde ein bereits abgeschlossener Vertrag mit der EMS-Chemie zur Herstellung von schwerem Wasser zu einem Viertel des Preises(!) von den USA unterboten. Und noch bevor die Schweizer Reaktor-Forschung in Lucens mit dem INES-4-Kernschmelzunfall ihren «Höhepunkt» erreichte (und sich all die Millionen als zum Fenster rausgeworfen erwiesen), zogen sich die Akteure der Schweizer Industrie und Stromwirtschaft faktisch zurück und machten AKW-Geschäfte mit den Amerikanern. [1]

Bei den AKW Beznau und Mühleberg bezahlten sie höchstens die Hälfte des realen Preises. Schlüsselfertig. Den Rest strichen sich die Hersteller ans Bein, um endlich ins Geschäft zu kommen. Man hoffte damals, das Geld wieder reinzuholen, indem man immer grössere Reaktoren baute, die sogenannte Economy of Scale. Die Schweizer profitierten indirekt auch von den riesigen militärischen Quer-Subventionen der dortigen Atom- und Uranindustrien, von weitreichenden Exportgarantien und Haftungsbefreiungen in den USA, beim Brennstoff und der anfänglichen Rücknahme der Abfälle. [5]

Diese Situation führte dazu, dass die Schweiz sehr billig an ihre ersten AKW kam. Und das wirkt bis heute nach! Diese Technologie bekam nun ein fettes «Billig»-Etikett angeheftet, und wie es so ist, mit diesen Klebdingern: Man kriegt sie nicht mehr weg.

Die FDP&Co. bekamen also ein vermeintliches positives Feedback zu ihrer «Strategie» und das meisselte die Pfadabhängigkeit in Stein. Neue Erkenntnisse haben keine Chance.

Die Endlosschleife

Dieser Pfad hat sich längst als destruktive Endlosschleife erwiesen, eine Mehrheit von Ewiggestrigen in diesen Parteien ist aber offenbar immer noch unfähig, daraus auszubrechen. Und wenn wir heute in den Tagesnachrichten quasi live sehen, wie ein Aggressor einen mit dem Beschuss der eigenen AKW in Geiselhaft nehmen kann, dann entlarvt sich der Teufelspakt zwischen Atom, Geld und Krieg endgültig: Sogar der ursprünglich gesuchte militärische Vorteil hat sich nicht nur in Luft aufgelöst. Nein, er verkehrt sich in sein Gegenteil! Man muss schon ein schier unglaubliches Mass an Erkenntnisresistenz an den Tag legen, um an dieser Technologie festzuhalten.

Das ist wirklich „zum gränne“, denn es müssen auch diese Parteien mitziehen, wenn wir vom Fleck kommen wollen. Man kann nur hoffen, dass dort endlich jemand über die Bücher geht.

Quellen:

[1] Der Traum vom eigenen Reaktor, Die schweizerische Atomtechnologieentwicklung 1945-1969, Wildi, Tobias, 2003

[2] Atomenergie und gespaltene Gesellschaft, Die Geschichte des gescheiterten Projektes Kernkraftwerk Kaiseraugst, Kupper, Patrick, 2003

[3] Kernenergieforschung der öffentlichen Hand, 30. Januar 2003, Bundesamt für Energie BFE

[4] Punktuell aus:

[5] Too Cheap to Meter: An Economic and Philosophical Analysis of the Nuclear Dream,
Steven Mark Cohn, 1997, Seite 32

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