Kurz vorgestellt: deterministische Störfallanalyse

Foto: Edward Teller, auch bekannt als „Vater der Wasserstoffbombe“ (1958)

Zweck

Die Methode der deterministischen Störfallanalyse dient gemäss Schweizerischem Regelwerk der Überprüfung, ob eine Kernanlage „sicher“ ist.

Geschichte und Herkunft

Die Methode ist uralt und geht zurück auf Prinzipien, welche vom Reactor Safeguard Committee ab 1947 innerhalb der US Atomic Energy Commission (AEC) angewendet wurden. Der Physiker Edward Teller war damals Vorsitzender des Committees und äusserte sich wie folgt dazu:

We could not follow the usual method of trial and error. This method was an integral part of American industrial progress before the nuclear age, but in the nuclear age it presented intolerable risks. An error in the manufacture of an automobile, for instance, might kill one to ten people. An error in planning safety devices for an airplane might cost the lives of 150 people. But an error allowing the release of a reactor’s load of radioactive particles in a strategic location could endanger the population of an entire city. In developing reactor safety, the trials had to be on paper because actual errors could be catastrophic.

Man realisierte also, dass das sonst in der Industrie übliche Vorgehen von „Versuch und Irrtum“ für das nukleare Zeitalter intolerabel ist. Man musste Wege finden, um den „Versuch“ auf Papier ausführen zu können, weil der „Irrtum“ katastrophal sein könnte.

Das Reactor Safeguard Committee etablierte also eine „simple procedure“, wie Teller sie nannte:

[To] imagine the worst possible accident and to design safety apparatus guaranteeing that it could not happen.

Quelle: “Controlling the Atom”, Mazuzan, George T., 1984, Seite 61.

Später entstand die AEC-Richtlinie “Reactor Safety Determination“ (1951). In der Schweiz fehlte lange jegliches Regelwerk, deshalb

… stützen sich die schweizerischen Sicherheitsbehörden vielfach auf ausländische, vor allem auf die im Ursprungsland des Reaktorsystems geltenden Vorschriften und Regelwerke ab. [HSK-R101, Seite 1].

Beznau und Mühleberg sind US-Reaktoren.

Methodischer Ansatz

Die Methode entspricht 1 : 1 dem mechanistischen Ingenieursdenken der damaligen Zeit. Man überlegt sich, was passieren könnte und überprüft dann für jeden anzunehmenden Schadenfall, ob noch alle notwendigen Einrichtungen verbleiben, um die wichtigen Funktionen (etwa die Kernkühlung) aufrecht erhalten zu können. Man berechnet, welche Belastungen in diesen Fällen auf die Apparatur wirken und beurteilt, ob alle Komponenten den Anforderungen gewachsen sind.

Es handelt sich aus meiner Sicht als Informatik-Ingenieur um eine unglaublich einfältige Modellierung der Wirklichkeit. So wird etwa angenommen, eine Anlage von der Komplexität eines Atomkraftwerks weise im Störfall maximal noch einen einzigen zusätzlichen Ausfall auf, oder aber eine einzige Personenhandlung laufe schief (Einzelfehlerprinzip). Der Rest des Kraftwerks und der Mannschaft gilt ganz einfach als unfehlbar.

Sicherheitsmargen, konservative Annahmen

Immerhin wurden in den frühen Jahren, auch aufgrund fehlender Berechnungsmöglichkeiten (Computersimulationen), teilweise grosszügige Sicherheitsmargen dazugeschlagen (sogenannte konservative d.h. „pessimistische“ Annahmen), welche bis heute dazu führen, dass diese „Einfältigkeit“ sehr selten in Anspruch genommen wird. Man sieht in Fukushima, was passiert, wenn doch.

Mit der neuen Richtlinie ENSI-A01 von 2009 wurden in der Schweiz übrigens die Sicherheitsmargen bei Störfallberechnungen und -modellen abgeschafft (Erläuterungsbericht A-01,  Kap. 2.4.3. — die tatsachenverdrehende Erklärung dafür ist lesenswert).

Rechtliche Verankerung

Die Methode der deterministischen Störfallanalyse ist in der Schweiz auch heute noch alleine für die Überprüfung der Einhaltung grundlegender Schutzziele anzuwenden. Sie alleine bestimmt, ob die Grenzwerte für die Strahlenexposition der Bevölkerung gemäss Art. 94 der Strahlenschutzverordnung im Störfall eingehalten werden könnten. Sie entscheidet auch über eine vorläufige Ausserbetriebnahme von Kernkraftwerken.

Eine weiterführende Beschreibung finden Sie im Dokument „Nukleare Sicherheit – eine Rechtsfrage„.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Leider wird dieses Formular von SPAM-Robotern missbraucht. Bitte beweisen Sie mit der folgenden Rechenaufgabe, dass Sie ein Mensch sind, vielen Dank. *