Ausschuss-Schmiedeteile verbaut, Fälschung, blindes Vertrauen – und Beznau

asn-fessenheim-2-chutage-pas-ralis

Folien von der französischen Aufsichtsbehörde ASN. Quelle: Anomalies et irrégularités sur les équipements sous pression nucléaires, OPECST, 25 octobre 2016.

Frankreichs Nuklearindustrie wird gerade ziemlich erschüttert durch nicht enden wollende Skandale um Schmiedeteile für druckführende Komponenten in AKWs. Die Grossschmiede Le Creusot (heutige AREVA-Tochterfirma) hat fehlerhafte Schmiedeteile hergestellt, dabei Ausschussware nicht verworfen, die Qualitätssicherung unterlaufen und Berichte an Aufsichtsbehörden und Betreiber gefälscht. Von Le Creusot stammen auch die Beznau Reaktordruckbehälter und Dampferzeuger.

Der Skandal ist aufgeflogen, als im Neubauprojekt „EPR Flamanville 3“ mangelhafter Stahl in der Reaktordruckbehälter-Bodenkalotte festgestellt wurde (zu hoher Kohlenstoffgehalt). Bei einem AREVA-internen Audit wurden dann 430 Dokumente mit Abweichungen gefunden. Die französische Aufsichtsbehörde verlangte vertiefte Untersuchungen. AREVA hat angekündigt, 6’000 Dokumente zu untersuchen und ein Jahr lang zu benötigen.

Bereits konnte festgestellt werden, dass Teile für Druckbehälter, Dampferzeuger und Stutzen im nuklearen Primärkühlkreis betroffen sind. Von 87 bisher rapportierten Fällen sind 24 Reaktoren betroffen. In 23 Fällen handelt es sich gemäss Aufsichtsbehörde um sicherheitsrelevante Befunde.

Beispiel 1: Ausschuss-Schmiedeteil im Dampferzeuger Fessenheim 2 eingebaut

Normalerweise werden Metall-Verunreinigungen, die sich in gewissen Zonen eines Guss-Rohlings absetzen (sog. Seigerungen), beim Schmieden bewusst weggeschnitten bzw. ausgestanzt (siehe auch Abbildung am Anfang des Artikels). Dummerweise war hier das fragliche Schmiedeteil zu kurz geraten. Es hätte als Ausschuss verworfen werden müssen. Stattdessen hat man es weiterverarbeitet und einfach darauf verzichtet, das minderwertige Ende abzuschneiden. Die Aufsichtsbehörde ASN hat dem Dampferzeuger nun die Zulassung entzogen. Der Reaktor Fessenheim 2 steht seit Mitte Juni still.

asn-fessenheim-2-chutage-pas-ralis-2

Beispiel 2: Ausschussteil im Dampferzeuger des Neubau-EPR Flamanville 3 eingebaut

Ähnlich bei einem Dampferzeuger-Teil im Neubau-EPR Flamanville 3. Es konnten nur 10% im Kopfbereich abgeschnitten werden, anstatt der erforderlichen 22%. Auch dieser zu knapp bemessene Rohling hätte verworfen werden müssen. Stattdessen wurde das Teil weiter verarbeiten und eingebaut. An die Aufsichtsbehörde wurde betrügerisch 23% rapportiert, wie die ASN aufzeigt:

asn-irrgularit-epr-de-flamanvill-3

Ob das Neubau-„Prestigeprojekt“ EPR Flamanville 3 überhaupt jemals in Betrieb gehen wird, ist angesichts der 20 festgestellten derartigen Unregelmässigkeiten (davon eine die Bodenkalotte des Reaktordruckbehälters betreffend!) in Frage gestellt.

Eines lässt sich bereits mit Sicherheit feststellen: ohne solche Betrügereien wären Neubau-AKW noch viel teurer, als sie nach Verdreifachung der ursprünglich veranschlagten Kosten (auf 10.5 Milliarden Euro) eh schon sind.

Beispiel 3: Ausschussteil im AKW Gravelines 5 eingebaut

Die ASN dokumentiert weitere Fälschungen der Dokumentation bei mechanischen Tests an einem Behälter-Segment im AKW Gravelines 5. Auch hier hätte das Teil verworfen werden müssen. Stattdessen wurden die Testergebnisse gefälscht und das Teil verbaut. Auch dieser Reaktor steht nun still:

asn-irrgularit-graveline-5

Französische Aufsichtsbehörde bleibt dran

Die französische Aufsichtsbehörde verfolgt den Skandal bezüglich der landeseigenen Reaktoren weiter. Seit 2015 erscheinen regelmässig Informationen für die Öffentlichkeit. Das Kapitel ist auch gemäss aktueller Meldungen alles anderes als abgeschlossen:

Unregelmässigkeiten in der Creusot Forge Fabrik von Areva NP
Es handelt sich um nicht akzeptable Unregelmässigkeiten. Die ASN hat eine gründliche Überprüfung der vergangenen Praxis verlangt. Die Dokumentationen sämtlicher Ausrüstungen, die von dieser Fabrik hergestellt wurden, werden überprüft. Areva NP kündigt an, dass diese Überprüfung ein Jahr dauern wird. Neue Abweichungen werden wahrscheinlich entdeckt werden. Eine Anpassung der Kontrollmethoden wird nötig werden, um solcherlei Praktiken die Stirn zu bieten.

[Übersetzung aus ASN Mitteilung 26.10.2016]

Im Moment stehen zehn Reaktoren still, einige von Ihnen voraussichtlich den ganzen Winter lang:

reporterre-carte-du-parc-nuclaire-dtaillant-la-situation-centrale-par-centrale

Karte: AKW-Standorte mit stillstehenden Reaktoren (orange), Stand 5.12.2016. Quelle: reporterre.net, OpenStreetMap

Und die Schweizer Aufsichtsbehörden?

Auch in Leibstadt und Beznau sind Teile aus der AREVA NP Schmiede Le Creusot verbaut. Die französischen Behörden legten spätestens am 19. Juli 2016 öffentlich dar, wie Ausschussware verbaut und die Aufsichtsbehörde hintergangen wurde [Quelle: ASN Mitteilung, vgl. auch Beispiel 1]. Dies hielt aber die Schweizer Aufsichtsbehörde ENSIdie sich nota bene der intensiven Zusammenarbeit mit der ASN rühmt — offenbar nicht davon ab, einen Monat später einen Persilschein auszustellen:

Unregelmässigkeiten im Schmiedewerk Le Creusot betreffen Schweizer Kernkraftwerke nicht

Die Schweizer Kernkraftwerke verwenden Schmiedeteile für die sicherheitsrelevanten Hauptkomponenten, deren Herstellungs- und Materialzeugnisse vollständig dokumentiert sind. Dies bestätigen die Betreiber auf Anfrage des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorates ENSI.

Alle Schweizer Betreiber können eine vollständige Dokumentation sämtlicher geschmiedeter Bauteile in den Hauptkomponenten ihrer Kernkraftwerke vorweisen. Aufgrund von Unregelmässigkeiten bei der Dokumentation im französischen Schmiedewerk Le Creusot forderte das ENSI die entsprechenden Nachweise.

Auf Nachfrage der Betreiber hatte AREVA bestätigt, dass kein Schmiedeteil für die Hauptkomponenten eines Schweizer Kernkraftwerks von den Unregelmässigkeiten betroffen ist.

Man glaubt einfach den nachweislichen Betrügern und Fälschern von AREVA. Hauptsache die Dokumentation ist vollständig. Aufsicht nach Schweizer Art:

sehe-nichts-hoehre-nichts-sage-nichts-6

Foto: Three wise monkeys, Tōshō-gū Shrine, Nikkō, Japan, Jakub Hałun, Wikimedia

Der vorbehaltlose Persilschein für die AKW erfolgt schon im Titel der Medienmitteilung. Die Medien entwarnen. So einfach ist das bei uns.

Zum Glück bleiben die Franzosen dran

Aber die französischen Behörden haben zum Glück nicht locker gelassen. Die zahlreichen seither dokumentierten Betrügereien kann selbst das ENSI nicht länger ignorieren. Greenpeace hat mit einem unabhängigen Gutachten nachgedoppelt. Jetzt müssen endlich auch die Schweizer AKW untersuchen:

Die Kernkraftwerke Beznau und Gösgen müssen die Dampferzeuger überprüfen

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI fordert von den Kernkraftwerken Beznau und Gösgen, dass sie die Qualität und die Ausführung der Schmiedeteile für die Dampferzeuger hinsichtlich der Einhaltung der Materialspezifikationen überprüfen. Das ENSI reagiert damit auf Informationen aus Frankreich.

Auch der Reaktordruckbehälter von Beznau 1 kommt von Le Creusot

Übrigens wiederholt sich die Geschichte: im August 2012 wurden tausende Risse in Reaktordruckbehältern belgischer AKW festgestellt. Das ENSI forderte nur einem minimale Stichproben-Prüfung beim AKW Mühleberg (weil aus gleicher Schmiede) und verwies ansonsten auf die vollständige Prüfung bei der Herstellung. Dies obwohl der Befund aus Belgien ja gerade bewiesen hatte, dass diese Prüfung bei der Herstellung nicht verlässlich ist (Zitat aus Zeitungsartikel):

Für das Ensi ist dies kein Argument für eine integrale Überprüfung. Es schreibt dazu: «Das internationale Regelwerk fordert eine vollständige Prüfung des Grundmaterials nach der Herstellung.»

Erst als die europäische WENRA eine Prüfung aller geschmiedeten Reaktordruckbehälter empfahl, bewegte sich das ENSI:

ENSI folgt WENRA-Empfehlungen zur Überprüfung der Reaktordruckbehälter

Was dann geschah, wissen wir: Beznau entdeckte 925 Stellen mit Fremdmaterialeinschlüssen und steht seitdem still.

Auch dieser Reaktordruckbehälter kommt von Le Creusot. Jetzt ist dokumentiert, wie diese Schmiede mehrfach Ausschuss-Schmiedeteile nicht verworfen, sondern weiterverarbeitet hat. Dass sie Herstellungs- und Prüfdokumente gefälscht hat. Dies in direktem Zusammenhang mit unterlassenem oder ungenügendem Entfernen von minderwertigen Gusszonen mit unerwünschten, schwächenden Einschlüssen. Genau solche Einschlüsse wurden in Beznau gefunden.

Nur Zufall?

Wir sprechen vom ältesten Reaktordruckbehälter der Welt. An einem der bevölkerungsreichsten AKW-Standorte.


Primäre Quellen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Leider wird dieses Formular von SPAM-Robotern missbraucht. Bitte beweisen Sie mit der folgenden Rechenaufgabe, dass Sie ein Mensch sind, vielen Dank. *