AKW Mühleberg: Bundesgericht muss Grundsatzfrage klären

 

Bild: Nukleare Sicherheit mit Feuerwehrpumpen? Einspeisestelle mit vier Stutzen zum Anschliessen der Schläuche zwecks Kühlung des Reaktors und der Notstromdiesel im Hochwasserstörfall.

Markus Kühni, Fichtenweg 21, 3012 Bern
Rainer Burki, Fluh 86, 3204 Rosshäusern

AKW Mühleberg: Bundesgericht muss Grundsatzfrage klären

25. Juni 2018. Auch wenn sie vom Bundesverwaltungsgericht teilweise Recht erhielten, ziehen die beiden Anwohner vor Bundesgericht. Sie wollen damit die rechtliche Grundsatzfrage klären, ob die mobilen Feuerwehrpumpen und das Hochreservoir Runtigenrain beim Nachweis der Hochwassersicherheit des Atomkraftwerks Mühleberg überhaupt angerechnet werden dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dies bejaht, jedoch zusätzliche Abklärungen gefordert. Die beiden Anwohner werfen dem Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf diese Grundsatzfrage Rechtsverletzungen und Widersprüche vor.

Nach der Katastrophe in Fukushima im März 2011 musste die Robustheit der Schweizer Atomkraftwerke gegen externe Ereignisse wie Überflutung oder Erdbeben überprüft werden. Dieser Sicherheitsnachweis unterliegt gesetzlichen Vorschriften und Regeln. Entgegen diesen national und international massgebenden Regeln rechnete das ENSI den Einsatz von mobilen Feuerwehrpumpen und später auch noch das ausserhalb des Werksgeländes gelegene Hochreservoir Runtigenrain mit seinen Leitungen im Sicherheitsnachweis an. Deshalb verlangten die beiden Anwohner eine gerichtliche Überprüfung dieser ihrer Ansicht nach widerrechtlichen Aufsichtshandlungen des ENSI.

Das Bundesverwaltungsgericht hiess die Beschwerde der Anwohner mit seinem Urteil vom 16. Mai 2018 wegen ungenügender Abklärungen des ENSI teilweise gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an das ENSI zurück. Das Gericht akzeptierte jedoch grundsätzlich den Einsatz mobiler wie auch ausserhalb des Kraftwerkgeländes gelegener Elemente. Soweit das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde abgewiesen hat und wichtige sicherheitstechnische Regeln zur Störfallvorsorge anders beurteilt, verlangen nun die Beschwerdeführer eine höchstrichterliche Überprüfung durch das Bundesgericht.

In ihrer Beschwerde zeigen sie auf, dass der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts nach ihrer Auffassung in allen relevanten Punkten schweizerisches Recht verletzt. Insbesondere gelten die hier massgebenden kernenergierechtlichen Sicherheitsvorschriften für alte und neue AKW gleichermassen. Das Bundesverwaltungsgericht will jedoch unter Bezugnahme auf eine hier gar nicht anwendbare rechtliche Grundlage bestehende AKW privilegieren. Das Bundesverwaltungsgericht vertritt weiter die Auffassung, die internationalen Grundsätze, auf welche das Kernenergiegesetz verweist, seien nicht zwingend zu befolgen und nicht direkt anwendbar. Deshalb sei es dem ENSI erlaubt, im Einzelfall auch davon abzuweichen. Die Beschwerdeführer zeigen jedoch auf, dass die hier massgebenden internationalen Grundsätze alle in das schweizerische Kernenergierecht übernommen wurden und deshalb auch zwingend angewendet werden müssen. Irritierend ist für die Beschwerdeführer, dass das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtslage in den einen Erwägungen seines Entscheids selber klar und richtig darlegt, während es in anderen Erwägungen davon abweicht, ohne diese inneren Widersprüche seiner Begründung zu erklären.

Weiter geht das Bundesverwaltungsgericht in seinem Entscheid davon aus, neben den vom ENSI zugelassenen mobilen Pumpen gebe es eine weitere, festinstallierte Notkühlung. Sogar das ENSI selber hatte jedoch für den Sicherheitsnachweis festgehalten, dass auch diese verstopfen kann und deshalb nicht angerechnet werden darf. Seltsamerweise gibt das Bundesverwaltungsgericht diesen korrekten Sachverhalt am einen Ort seines Entscheids selber wieder, um ihn andernorts im offenen Widerspruch dazu einfach zu ignorieren. Ebenso unverständlich ist die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, das Hochreservoir Runtigenrain sei erdbebenklassiert, obwohl in den Akten das Gegenteil steht.

Die Beschwerdeführer sind erstaunt, dass ein Gericht derart widersprüchlich und rechtsverletzend argumentieren kann. Sie sind deshalb überzeugt, dass dem Bundesgericht Gelegenheit gegeben werden muss, diesen Entscheid zu überprüfen.

Unterstützt von Greenpeace

Das Verfahren wird von Greenpeace unterstützt. «Ensi und AKW-Betreiber strapazieren das Recht schon zu lange. Wir begrüssen, dass zentrale Rechtsfragen zur Nuklearsicherheit endlich vom Bundesgericht geklärt werden.» sagt Florian Kasser von Greenpeace Schweiz.

Weiterführende Informationen

Bei Rückfragen stehen für Auskünfte zur Verfügung:

  • Markus Kühni, Tel. 079 294 03 31
  • Rainer Burki, Tel. 079 369 23 21
  • Martin Pestalozzi, Rechtsanwalt, Rüti ZH, Tel. 055 251 59 53
  • Florian Kasser, Atomkampagne Greenpeace Schweiz, Tel. 076 345 26 55

Chronologie

11. März 2011 Fukushima: Infolge des Erdbebens und des Tsunamis kommt es zu einer Unfallserie mit mehreren Kernschmelzen.
1. April 2011 ENSI ordnet Überprüfung der Auslegung des KKM bezüglich Erdbeben und Überflutung an.
31. August 2011 Aktennotiz des Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI: Stellungnahme des ENSI zum Hochwassernachweis des KKW Mühleberg.
20. März 2012 Nach einem langen Briefwechsel mit dem ENSI stellen zwei Anwohner ein Gesuch um eine beschwerdefähige Verfügung. Begründung: Internationale Regelwerke verlangen, dass Ereignisse mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10‘000 pro Jahr mit fest installierten Sicherheitssystemen beherrscht werden müssten – nicht mit mobilen Feuerwehrpumpen. Die Anrechnung von mobilen Systemen an den Sicherheitsnachweis sei nicht zulässig.
7. November 2012 Nach langer Bedenkzeit teilt das ENSI mit, es trete auf das Gesuch nicht ein, weil die beiden Anwohner nicht legitimiert seien. Die Anwohner ziehen den Entscheid mit Hilfe von Greenpeace und den Anwalt Martin Pestalozzi ans Bundesverwaltungsgericht weiter.
15. März 2013 Das Bundesverwaltungsgericht gibt den beiden Anwohnern Recht und bejaht die Legitimation. Das ENSI zieht den Entscheid an das Bundesgericht weiter.
30. Oktober 2013 BKW gibt die vorzeitige Ausserbetriebnahme von Mühleberg per Ende 2019 bekannt: Die Investitionen für einen Langzeitbetrieb hätten für die BKW hohe Kosten zur Folge gehabt. Auf den Bau einer vollwertigen zweiten Wärmesenke wird verzichtet.
11. April 2014 Das Bundesgericht weist die Beschwerde des ENSI ab und gibt den Anwohnern Recht. Das ENSI muss nun das Gesuch inhaltlich behandeln und eine beschwerdefähige Verfügung erlassen.
August 2014
bis
Mai 2015
ENSI gewährt den beschwerdeführenden Anwohnern teilweise die Akteneinsicht nur unter einschränkenden Auflagen. Die BKW verlangen beim Bundesverwaltungsgericht noch weitergehende Auflagen. Das Bundesverwaltungsgericht verschärft diese Auflagen teilweise.
2015 Das ENSI und die BKW halten am bisherigen Konzept fest:

Am Ende der Jahresrevision 2015 ist eine festinstallierte Notkühlung über das Hochwasserreservoir und das erneuerte Pumpspeicherwerk REWAG wie auch die Trinkwasserversorgung Bern verfügbar. Die ist zwar überflutungssicher aber nicht durchgängig erdbebenfest wie verlangt.

1. Juni 2016 Nach mehr als vier Jahren weist das ENSI das Gesuch der Anwohner ab und stellt eine beschwerdefähige Verfügung aus. Einen Monat später wird eine Beschwerde der Anwohner beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht.
16. Mai 2018 Nach doppeltem Schriftenwechsel heisst das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zur Neubeurteilung an das ENSI zurück. Die Kosten gehen zulasten der BKW. Sieben Jahre nach Fukushima ist die Hochwassersicherheit des AKW Mühleberg immer noch nicht nachgewiesen.
25. Juni 2018 Einreichen unserer Beschwerde ans Bundesgericht.

 

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