AKW Mühleberg: Bundesverwaltungsgericht heisst Beschwerde von zwei Anwohnern teilweise gut

Markus Kühni, Fichtenweg 21, 3012 Bern
Rainer Burki, Fluh 86, 3204 Rosshäusern

AKW Mühleberg: Bundesverwaltungsgericht heisst Beschwerde von zwei Anwohnern teilweise gut

25. Mai 2018. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der rechtlichen Auseinandersetzung um die Sicherheit des Atomkraftwerks Mühleberg die Beschwerde der beiden Anwohner teilweise gutgeheissen und die Sache zur Neubeurteilung an das ENSI zurückgewiesen. Sieben Jahre nach Fukushima ist damit die Hochwassersicherheit des AKW Mühleberg immer noch nicht nachgewiesen.

Nach der Katastrophe in Fukushima im März 2011 musste die Robustheit der Schweizer Atomkraftwerke gegen externe Ereignisse wie Überflutung oder Erdbeben überprüft werden. Dieser Sicherheitsnachweis unterliegt gesetzlichen Vorschriften und Regeln. Diese Vorschriften sind nach Auffassung der beiden Anwohner im Fall Mühleberg missachtet worden, weil das ENSI den Einsatz von mobilen Feuerwehrpumpen entgegen den international massgebenden Sicherheitsregeln dem Sicherheitsnachweis anrechnete.

Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde der Anwohner wegen ungenügender Abklärungen des ENSI teilweise gut und weist die Sache zur Neubeurteilung an das ENSI zurück. Es fordert die Einholung einer Stellungnahme der Fachstellen zum verwendeten Hochwasserszenario unter Einbezug aktueller Erkenntnisse. Ebenso verlangt es Zusatzabklärungen im Zusammenhang mit dem Hochreservoir „Runtigenrain“, welches vom ENSI als Nachrüstung akzeptiert wurde. Die Kosten werden der BKW auferlegt; die Beschwerdeführer erhalten eine Parteientschädigung.

Aus der Sicht der Beschwerdeführer bestätigt damit das Bundesverwaltungsgericht die Notwendigkeit der gerichtlichen Überprüfung der Aufsichtstätigkeit des ENSI. Das ENSI hat dem AKW Mühleberg vorschnell die Hochwassersicherheit attestiert und wesentliche Abklärungen unterlassen. Die Beschwerdeführer finden es bedenklich, dass die Hochwassersicherheit eines schweizerischen Atomkraftwerks auch sieben Jahre nach Fukushima noch nicht nachgewiesen ist und es dennoch immer weiter betrieben werden darf.

Das Bundesverwaltungsgericht akzeptiert zwar grundsätzlich den Einsatz mobiler Elemente. Das Gericht wirft dem ENSI jedoch vor, sich bezüglich der Frage, ob diese mobilen Pumpen die geforderte Wirkung erzielen können, einzig auf ein nicht von unabhängiger Seite verifiziertes Gutachten zu stützen. Dieses wurde durch die BKW, also die Betreiberin des AKW Mühleberg, in Auftrag gegeben. Es sei den Akten nicht zu entnehmen, dass die Hochwasser-Modellberechnungen durch eine Fachstelle des Bundes oder durch kantonale Fachbehörden überprüft oder kommentiert wurden. Während der Verfahrensdauer seien weitere bedeutende Hochwasser aufgetreten. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) beschäftige sich seit 2013 mit Niederschlags- und Abflussszenarien. Eine Stellungnahme der Fachstellen zum verwendeten Hochwasserszenario unter Einbezug aktueller Erkenntnisse sei heute unumgänglich.

Das ENSI hatte im Verfahren zudem geltend gemacht, das Hochreservoir „Runtigenrain“ sei neu in das Notstand-Kühlwassersystem einbezogen. Die Rügen der Beschwerdeführer seien durch diese Nachrüstung überholt. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet zwar diesen Einbezug des Hochreservoirs in den Sicherheitsnachweis als grundsätzlich zulässig. Das Gericht kritisiert jedoch die diesbezüglichen Abklärungen des ENSI mit deutlichen Worten: „Kurz gefasst: Es ist nicht ersichtlich, wie die Notkühlung des Reaktors über das Hochreservoir über längere Zeit aufrechterhalten werden soll und kann.“

Soweit das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde abgewiesen hat und wichtige sicherheitstechnische Regeln, namentlich zum Einsatz mobiler Ausrüstung, anders beurteilt, werden die Beschwerdeführer das Urteil vertieft analysieren und anschliessend darüber entscheiden, ob sie es beim Bundesgericht anfechten.

Das Verfahren wird von Greenpeace unterstützt.

Bei Rückfragen stehen für Auskünfte zur Verfügung:

–     Markus Kühni, Telefon 079 294 03 31
–     Martin Pestalozzi, Rechtsanwalt, Rüti ZH, Tel. 055 251 59 53
–     Rainer Burki, Telefon 079 369 23 21

Erster Kommentar zur Medienmitteilung des ENSI:

Das ENSI erweist sich als unbelehrbar, wenn es trotz des Gerichtsentscheids in seiner Medienmitteilung erneut behauptet, das AKW Mühleberg habe den Hochwassernachweis 2011 unter strengen Vorgaben erfolgreich erbracht.

Zweiter Kommentar (11:30):

Das ENSI sagt, seine Beurteilung sei international gestützt und es sei auch im EU Stresstest erwähnt. Faktencheck: Interview mit einem EU Stresstest Experten, der sich am Negativbeispiel Mühleberg derart stiess, dass er damals öffentlich darüber aussagte:

Weiterführende Informationen:

Chronologie

11. März 2011 Fukushima: Infolge des Erdbebens und des Tsunamis kommt es zu einer Unfallserie mit mehreren Kernschmelzen.
1. April 2011 ENSI ordnet Überprüfung der Auslegung des KKM bezüglich Erdbeben und Überflutung an.
31. August 2011 Aktennotiz des Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI: Stellungnahme des ENSI zum Hochwassernachweis des KKW Mühleberg.
20. März 2012 Nach einem langen Briefwechsel mit dem ENSI stellen zwei Anwohner ein Gesuch um eine beschwerdefähige Verfügung. Begründung: Internationale Regelwerke verlangen, dass Ereignisse mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10‘000 pro Jahr mit fest installierten Sicherheitssystemen beherrscht werden müssten – nicht mit mobilen Feuerwehrpumpen. Die Anrechnung von mobilen Systemen an den Sicherheitsnachweis sei nicht zulässig.
7. November 2012 Nach langer Bedenkzeit teilt das ENSI mit, es trete auf das Gesuch nicht ein, weil die beiden Anwohner nicht legitimiert seien. Die Anwohner ziehen den Entscheid mit Hilfe von Greenpeace und den Anwalt Martin Pestalozzi ans Bundesverwaltungsgericht weiter.
15. März 2013 Das Bundesverwaltungsgericht gibt den beiden Anwohnern Recht und bejaht die Legitimation. Das ENSI zieht den Entscheid an das Bundesgericht weiter.
30. Oktober 2013 BKW gibt die vorzeitige Ausserbetriebnahme von Mühleberg per Ende 2019 bekannt: Die Investitionen für einen Langzeitbetrieb hätten für die BKW hohe Kosten zur Folge gehabt. Auf den Bau einer vollwertigen zweiten Wärmesenke wird verzichtet.
11. April 2014 Das Bundesgericht weist die Beschwerde des ENSI ab und gibt den Anwohnern Recht. Das ENSI muss nun das Gesuch inhaltlich behandeln und eine beschwerdefähige Verfügung erlassen.
August 2014
bis
Mai 2015
ENSI gewährt den beschwerdeführenden Anwohnern teilweise die Akteneinsicht nur unter einschränkenden Auflagen. Die BKW verlangen beim Bundesverwaltungsgericht noch weitergehende Auflagen. Das Bundesverwaltungsgericht verschärft diese Auflagen teilweise.
2015 Das ENSI und die BKW halten am bisherigen Konzept fest:

Am Ende der Jahresrevision 2015 ist eine festinstallierte Notkühlung über das Hochwasserreservoir und das erneuerte Pumpspeicherwerk REWAG wie auch die Trinkwasserversorgung Bern verfügbar. Die ist zwar überflutungssicher aber nicht durchgängig erdbebenfest wie verlangt.

1. Juni 2016 Nach mehr als vier Jahren weist das ENSI das Gesuch der Anwohner ab und stellt eine beschwerdefähige Verfügung aus. Einen Monat später wird eine Beschwerde der Anwohner beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht.
16. Mai 2018 Nach doppeltem Schriftenwechsel heisst das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zur Neubeurteilung an das ENSI zurück. Die Kosten gehen zulasten der BKW. Sieben Jahre nach Fukushima ist die Hochwassersicherheit des AKW Mühleberg immer noch nicht nachgewiesen.

 

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