Beznau wird für 500 Millionen auf Stand der Technik von 1974 gebracht. Mit Abstrichen.

AKW Beznau

Die Axpo will ihr AKW Beznau bis Mitte 2015 für 500 Millionen Franken nachrüsten. Im Projekt AUTANOVE für eine autarke Notstromversorgung sollen vier Notstromgeneratoren in zwei neuen Gebäuden nachgerüstet werden. Damit wird das AKW auf den Stand der Technik von ca. 1974 gebracht. Mit Abstrichen.

Nachrüstforderung erst als es brenzlig wurde

Das ENSI hatte diese Nachrüstung endlich gefordert, nachdem es am 21. August 2007 zu einem Vorkommnis des Schweregrads 1 gemäss INES-Bewertungsskala gekommen war.

Im Rahmen der Jahresrevision von Block 2 des AKW Beznau wurden sowohl die 50 kV-Netzversorgung, als auch der Dieselgenerator ausser Betrieb genommen. Zur Sicherstellung der Notstromversorgung wurde deshalb der Dieselgenerator des Blocks 1 angefahren. Als man ihn später belasten wollte, fiel er prompt aus. Dies, obwohl er einen Monat vorher getestet wurde. Zum Glück war zu diesem Zeitpunkt die 50 kV Anspeisung gerade wieder in Betrieb. Das ENSI schrieb damals:

Deshalb ist damit zu rechnen, dass während die 50-kV-Anspeisung wegen Wartungsarbeiten ausser Betrieb war, der Notstand-Dieselgenerator des Blocks 1 nicht in der Lage gewesen wäre, im Anforderungsfall die betroffene Notstromschiene mit der nötigen Leistung zu versorgen.

Knapp zwei Wochen vorher war bei einem Hochwasser das nahegelegene Wasserkraftwerk (welches ebenfalls für die Notstromversorgung des AKW eingerechnet ist) für 12 Stunden ausgefallen. In Kombination bzw. bei einem noch grösseren Hochwasser wäre die Lage gelinde gesagt brenzlich geworden. Nach fast vierzig Jahren durchgewinkter Sicherheitsanalysen schrieb das ENSI:

Die Anlagenkonfiguration war vorübergehend mit einer deutlichen Risikoerhöhung verbunden. Um eine Wiederholung einer analogen Situation zu vermeiden, fordert die HSK vom KKB, die Auslegung der Notstromversorgung umfassend zu überprüfen und ein Konzept zu deren Verbesserung vorzulegen.

Flickwerk

Die heutige Notstromversorgung des AKW Beznau ist ohne Übertreibung ein Flickwerk. Die beiden Blöcke 1 und 2 sind miteinander vermascht, weder die Versorger noch die Verbraucher (Sicherheitssysteme) sind systematisch redundanten Notstromschienen zugeordnet, wie dies sonst üblich ist. Die Leistung/Verschaltung der einzelnen, alternativen (nicht erdbebenfesten) Versorger reicht nicht aus, um einen vollen Abfahrpfad zu betreiben, stattdessen müssen mehrere Versorger bzw. Notstromschienen kombiniert zur Verfügung stehen. Nur mittels Brücken und (teilweise manueller!) Umschaltungen, auch zwischen den Blöcken ist überhaupt ein (fragwürdiger) Sicherheitsnachweis möglich (Einzelfehlersicherheit, s.u.). Entsprechend anfällig ist das System.*

Was im Sicherheitsbericht kreuz und quer über fünf Stromschienen geht…

Beznau Block 2 - Stromversorgung - Einpoliges Übersichtsschema
Quelle: Kernkraftwerk Beznau, Block II, Sicherheitsbericht 2001, Abb. 8.3-1, 8.3-2

… wird im Werbevideo so dargestellt …

Beznau Movie Notstrom
Standbild: Axpo

… und beschrieben, als ob jede der Versorgungsmöglichkeiten unabhängig von der anderen das AKW vollumfänglich versorgen könnte. Dies entbehrt natürlich jeder Grundlage.

Unausgereift und dann zu billig nachgerüstet

Der älteste in Betrieb stehende Reaktor der Welt wurde zunächst nach unausgereiften Sicherheitkonzepten aus dem Ursprungsland USA gebaut. Bei der Übernahme von Sicherheitskriterien nahm man es dabei nicht so genau, wäre doch Beznau in den USA nicht bewilligungsfähig gewesen, u.a. wegen zu hoher Bevölkerungsdichte am Standort (in anderem Zsh. hier beschrieben). Block 2 wurde dann weitgehend baugleich erstellt.

Roland Naegelin, Mitglied der ASK (heute KNS) von 1970 bis 1980, sowie Direktor der HSK (heute ENSI) von 1980 bis 1995 stellt es in seinem Buch “Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen 1960 – 2003″ so dar (S. 119):

Aus späterer Sicht muss festgestellt werden, dass zur Zeit von Projektierung und Bau der ersten schweizerischen Kernkraftwerke weder die Gesuchsteller noch die Sicherheitsbehörden aufgrund ihrer Kenntnisse und Arbeitskapazitäten in der Lage waren, ihre Aufgaben in Bezug auf die Anlagensicherheit vollumfänglich wahrzunehmen. Wohl waren auf einigen Spezialgebieten gute Kenntnisse, Erfahrung und auch Kompetenzzentren vorhanden, diese fehlten aber weitgehend insbesondere bezüglich Gesamtübersicht und Systemtechnik.

Erst nach dem Unfall von Three Mile Island (1979) forderten die Aufsichtsbehörden Nachrüstungen. Deren Planung beschreibt der damalige Aufsichtsdirektor so (S. 335):

Das von der NOK [heute Axpo] termingerecht auf Ende 1981 eingereichte Projekt basierte auf den KSA-Projektierungsregeln für neue Anlagen, hatte dabei aber einen Umfang und eine Komplexität angenommen, welche den Rahmen einer zumutbaren und überschaubaren Nachrüstung überschritten.

Im Einvernehmen mit der HSK [heute ENSI] wurde das Projekt einer Redimensionierung unterzogen. Dabei wurde das Konzept NANO im Bereich Notstand und Notstrom gestrafft und im Bereich Not- und Nachkühlsysteme erweitert. Wichtigster Punkt war der Verzicht auf die ursprüngliche Forderung nach Redundanz des Notstandsystems.

So entstand schliesslich auf dem Papier das oben beschriebene Flickwerk. Aber es musste noch Tschernobyl passieren, bis wirklich gebaut wurde.

Wie man nachträglich berechnet hat, summierte sich über die 23 Jahre, bis 1992 das NANO in Betrieb genommen werden konnte, ein Risiko von ca. 1:30 für eine Kernschmelze. Und dabei ist der fast baugleiche Block 2 noch gar nicht eingerechnet.

[Quelle: o.g. Buch, Tabelle 6.5-3: Kernschadenshäufigkeiten CDF für das KKW Beznau, S. 321]

Stand der Technik von ca. 1974

Die aktuell von der Axpo präsentierten Nachrüstungen um Umfang von ca. 500 Millionen Franken werden das 44 Jahre alte AKW ungefähr auf den Stand der Technik von 1974 bringen, wenn sie denn fertiggestellt sind. Dies ergibt sich aus den damaligen, in den USA und Deutschland geltenden „Projektierungsregeln“. Die Schweiz hatte damals noch keine eigenen Richtlinien und stützte sich stattdessen (und teils bis heute) „auf ausländische, vor allem auf die im Ursprungsland des Reaktorsystems geltenden Vorschriften und Regelwerke ab“.

Entscheidend sind die sogenannten Projektierungsregeln (heute „Auslegungskriterien“). Naegelin schreibt (S. 149):

Einzelfehlersichere Notkühlsysteme wurden in beiden Ländern gefordert, in den USA (GDC 33 und 35) bei Anspeisung mit Netz- oder Notstrom, in Deutschland (SK 4.3) auch während Prüfungen oder Reparaturen [ksa 1974-11-30]. Für die Nachwärmeabfuhr wurde in beiden Ländern das Einzelfehlerkriterium verlangt, im GDC 34 explizit auch bei Ausfall der  äusseren oder inneren Stromversorgung [ksa 1974-11-30].

[…]

Das Prinzip der Separation von Redundanzen wurde schon 1971 erwähnt, dass nämlich Leitungen, die für das Funktionieren der Sicherheitseinrichtungen wesentlich sind, speziell gegen Geschosse geschützt, oder – soweit sie doppelt vorhanden sind – örtlich getrennt werden sollen [KSA 1971-8-5].

Das sind genau die Regeln, deren Einhaltung das oben beschriebenen Vorkommnis von 2007 verhindert hätten.

Mit Abstrichen

Aber selbst diese Regeln werden auch nach der Fertigstellung von AUTANOVE noch nicht vollständig eingehalten werden. Das ENSI spricht denn auch korrekterweise von „Verbesserung“ und nicht von „Erfüllung“ der Kriterien:

Mit den Nachrüstmassnahmen werden die Einzelfehlersicherheit sowie die funktionale Unabhängigkeit und räumliche Trennung von Sicherheitssträngen in beiden Blöcken des Kernkraftwerks Beznau nochmals deutlich verbessert.

Schon das Einzelfehlerkriterium wird nicht durchgehend eingehalten werden. Das sogenannte Instandhaltungskriterium, welches verlangt, dass auch bei Reparatur- und Wartungsarbeiten an einem ersten System ein zweites System ausfallen kann und dann immer noch ein drittes System die Sicherheitsfunktion übernehmen kann, wird schon gar nicht diskutiert. Das ENSI stellt sich seit jeher auf den Standpunkt, dieses Kriterium brauche es in der Schweiz für die alten AKW nicht. Auch nicht nach dem Vorkommnis vom 21. August 2007, wo genau dieses Szenario um ein Haar passiert wäre.

Darstellung der Axpo

Die Axpo stellt die Nachrüstungen jenseits aller Fakten so dar:

Damit erfüllen die Anlagen modernste Ansprüche und die Sicherheitsvorkehrungen sind auf dem gleichen Stand wie sie heute in neuen Kraftwerken üblich sind.

 


* 18.10.2013 09:00 — letzte kleine Korrekturen vorgenommen.

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