E&U: Faktencheck zum Super-GAU in Fukushima

Im neuen Energie & Umwelt der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) ist mein Faktencheck erschienen.

In Medienberichten zum zehnten Jahrestag der Nuklearkatastrophe in Fukushima mit Ex-Direktor Hans Wanner und Vizedirektor Georg Schwarz der Atomaufsichtsbehörde ENSI kristallisierte sich ein bemerkenswertes Narrativ heraus: Es soll einen «Schlüsselfaktor» für die überlegene Sicherheit der Schweizer AKW geben, nämlich die oft kritisierte unbefristete Bewilligung. Diese beinhalte eine Nachrüstpflicht und sei ein Garant dafür, dass es so einen Unfall in der Schweiz nicht geben könne.

Tipp zur Vertiefung:

Zum E&U Artikel einige erweiterte Zitate/Übersetzungen und die Quellen-Links (vgl. Fussnoten und Quellenangaben im Artikel).

Übersetzungen aus dem IAEA Untersuchungsbericht, IAEA: The Fukushima Daiichi Accident, Technical Volume 2:

Die Bewilligungen für japanische KKWs wurden für einen unbefristeten Zeitraum erteilt. Die Ministerialverordnung im Rahmen des Kernenergiegesetzes verlangte eine technische Überprüfung des Alterungsmanagements für Anlagen, die eine Betriebsdauer von 30 Jahren erreicht hatten, und danach fortlaufende technische Bewertungen des Alterungsmanagements […] in Abständen von zehn Jahren.
[Seite 113]

Unter Berücksichtigung der verzerrten Betrachtung im Nachhinein, ist anzumerken, dass TEPCO mehrere Massnahmen in Bezug auf den Tsunami-Schutz ergriffen hat. Die Auslegung für die Tsunami-Höhe wurde während der Lebensdauer des KKW Fukushima Daiichi mindestens fünfmal neu bewertet. Die Annahmen für die Tsunami-Höhe wurden 2002 von +3.1 m auf +5.7 m und 2009 nochmals auf +6.1 m erhöht, um «Unsicherheiten in den berechneten Werten auf der Grundlage verbesserter Bewertungsmethoden, die von den Erdbeben- und Tsunami-Experten der Japan Society of Civil Engineers (JSCE) entwickelt wurden, zu berücksichtigen». Meerwasserpumpen wurden dementsprechend in den Jahren 2002 und 2009 angehoben. Um die Tsunami-Annahmen von Jogan zu validieren, veranlasste TEPCO in den Jahren 2009 und 2010 weitere Studien und führte «Kernbohrungen an fünf Stellen in der Nähe der Standorte Daiichi und Daini» durch. Diese Fakten verdeutlichen, dass einige Massnahmen ergriffen wurden.
[Seite 134]

Weniger als vier Jahre nach dem Kashiwazaki-Kariwa-Ereignis wurden an den TECPO-Kernkraftwerksstandorten seismisch isolierte Gebäude errichtet, die im Falle eines nuklearen Unfalls als ERC [Notfallzentrale] dienen sollten. Diese Gebäude enthielten auch Kommunikationseinrichtungen und Besprechungsräume. Das seismisch isolierte Gebäude am Standort Fukushima Daiichi war entscheidend für die Unterstützung der Ereignisbewältigung am und nach dem 11. März 2011. Basierend auf den Erfahrungen mit dem KKW Kashiwazaki-Kariwa installierte TEPCO auch Feuerwehrfahrzeuge, die während des Unfalls als Pumpen für die Kühlmitteleinspeisung eingesetzt wurden. Diese Massnahmen zeigen, wie wichtig eine lernende Haltung ist.
[Seite 134]

[…] installierte Modifikationen, um den Einsatz von mobilen Pumpen als alternative Quelle für die Wassereinspeisung in den Reaktor zu ermöglichen. Ausserdem wurden die Evakuierungspläne für den Standort verbessert. All diese Verbesserungen erwiesen sich bei den Notfallmassnahmen nach dem Tsunami im AKW Fukushima Daiichi als sehr nützlich.
[Seite 150]

Ausschnitte aus Roland Naegelin, Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen 1960 – 2003, Hrsg. HSK (heute ENSI), 2007:

Planung und Bau des KKW Beznau erfolgten in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre, als noch keine allgemeinen Sicherheitsgrundsätze wie die «General Design Criteria» etabliert waren (vgl. 5.3). Auch für nuklear relevante Funktionen wurde weitgehend konventionelle Kraftwerkstechnik angewandt. Dementsprechend sind redundante Stränge nicht separiert oder Teile der sicherheitsrelevanten Stromversorgung durch Räume mit heissen druckführenden Leitungen geführt worden. Für das sichere Funktionieren wichtige periphere Systeme wurden nicht gegen die zu erwartenden äusseren Einwirkungen [Anm. Erdbebeben/Hochwasser] spezifiziert oder entsprechend qualifiziert. Ende der Siebzigerjahre erkannte die ASK diese Schwachstellen und forderte ein Nachrüsten der beiden Beznau-Blöcke mit Notstandsystemen. Eine entsprechende Auflage wurde 1980 in der Verlängerung der Betriebsbewilligung für das KKB II gemacht.
[Seite 319]

In den beiden Blöcken des KKW Beznau wurden in Befolgung einer Auflage der Bewilligungsverlängerung für KKB II von 1994 in den Jahren 1999 und 2000 je ein zusätzlicher Strang für die Speisewasserversorgung der Dampferzeuger bei Störfällen nachgerüstet.
[Seite 334]

Die KSA machte Vorschläge für vier mit der nächs­ten Betriebsbewilligung zu verbindende Aufla­gen. Dazu gehören:
[…]

  • Für das KKM ist ein autarkes, redundantes Notstandsystem zu realisieren. Das von der
    BKW vorgelegte und von der KSA akzeptierte Konzept ist weiter zu entwickeln. Es soll bis
    Ende 1981 in Form eines Projektes mit einem zugehörigen Sicherheitsbericht der Sicher­
    heitsbehörde unterbreitet werden.

Mit Verfügung vom 23. Dezember 1980 verlän­gerte das EVED die Bewilligung für die Aufnah­me des Leistungsbetriebes des KKW Mühle­berg bis zum 31. Dezember 1985. Dabei wurden
alle von der KSA vorgeschlagenen Auflagen übernommen. Zusätzlich wurde die folgende
Bedingung aufgenommen:

Diese Bewilligung fällt dahin, wenn bis zum 31. Dezember 1985 kein Projekt vorliegt, welches
für die sichere Entsorgung und Endlagerung der aus dem KKM stammenden radioaktiven Abfälle Gewähr bietet und wenn bis dahin die Stilllegung und der allfällige Abbruch des Werkes nicht ge­währleistet Sind [EVED 1980-12-23].
[Seite 351]

Ausschnitt aus der SonntagsZeitung vom 3.7.2011 (siehe auch den damaligen energisch.ch-Eintrag):

Im Gegensatz zum Ensi haben die ETH-Wissenschafter genau geprüft: «Wir haben mit Modellversuchen eindeutig nachweisen können, dass im Falle eines Extremhochwassers, das rechnerisch alle 10 000 Jahre auftritt, eine Verstopfungsgefahr der Kühlwasserentnahme besteht. Es ist aus dem Befund heraus klar, dass das Problem behoben werden muss», sagen die Forscher der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich. Das Resultat lasse keine Zweifel aufkommen. «Jeder Experte, der die Ergebnisse der Modellversuche vor Augen hat, würde das so einschätzen.»

Warum hat das Ensi diese Untersuchung nicht längst selbst ausgeführt oder in Auftrag gegeben? «Dass die Verstopfungsgefahr genauer zu analysieren ist, steht seit längerer Zeit auf der Agenda. Nun hat Fukushima Druck erzeugt», sagt Ensi-Vize Georg Schwarz. Im Gegensatz zur Antwort im April schätzt das Ensi die Gefahr nun plötzlich als «ernsthaftes Problem» ein.

Online verfügbare Dokumente:

Weitere Quellenangaben und Textausschnitte, bitte einfach anfragen.

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