Revision Kernenergieverordnung: Nervöse Politpropaganda aus dem ENSI
Am Freitag hat das ENSI in Sachen Revision der Kernenergieverordnung (KEV) einen Artikel auf seine Homepage gestellt.
Die KEV-Revision macht keine Abstriche bei der Sicherheit der Bevölkerung
Die Vernehmlassung des Bundesrates zur Teilrevision der Kernenergieverordnung wird begleitet von Vorwürfen der KKW-Kritiker, welche die Aufsicht des ENSI betreffen. Das ENSI als für die Überwachung der Sicherheit der Kernkraftwerke zuständige Behörde hält fest: Die Revision führt zu keinen Abstrichen bei der Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke. Und: Das Kernkraftwerk Beznau beherrscht auch ein schweres Erdbeben, das statistisch einmal alle 10‘000 Jahre zu erwarten ist.
Dass sich die Aufsichtsbehörde auf solche Art politisch in die Vernehmlassung einmischt, ist bereits bemerkenswert. Wie nachfolgend aufgezeigt, enthält der Artikel zudem allerlei unsachliche Propaganda. Beim ENSI muss offenbar eine erhebliche Nervosität vorherrschen.
ENSI-Speak, entschlüsselt
Bereits der Titel muss richtig gelesen werden:
Die KEV-Revision macht keine Abstriche bei der Sicherheit der Bevölkerung
Natürlich macht die KEV-Revision keine Abstriche bei der Sicherheit, wenn die momentane, gesetzwidrige Praxis des ENSI als Massstab genommen wird. In einem Rechtsstaat gilt aber die Gesetzgebung als Massstab, nicht das Gutdünken der Aufsichtsbehörde.
Dazu muss man wissen: Diese Gesetzgebung hat sich weiter entwickelt. Mit dem neuen Kernenergiegesetz und den zugehörigen Verordnungen wurden in den 2000er Jahren—auch als Reaktion auf die damaligen Atominitiativen—weitreichende Detaillierungen und Konkretisierungen der Sicherheitsstandards festgeschrieben. Die Ausserbetriebnahmekriterien wurden überhaupt erst eingeführt. Geprägt wurde das neue Regulativ—wie es schon immer vorgesehen war—von der Erfahrung und dem Fortschreiten des Standes der Wissenschaft und Technik. Dies auch massgeblich durch die internationalen Standards der IAEA und darauf basierend der damals neu geschaffenen Sicherheitsreferenz der Western European Nuclear Regulators‘ Association (WENRA).
Das ENSI (damals HSK) stellte dies im Geschäftsbericht 2006 noch selber klar dar:
Die HSK beteiligt sich aktiv an den Initiativen der Western European Nuclear Regulators’ Association (WENRA), die sicherheitstechnischen Anforderungen europaweit auf einem hohen Niveau zu harmonisieren. In der Schweiz wurde mit der neuen Kernenergiegesetzgebung ein wichtiger Grundstein gelegt. Die neue Gesetzgebung erfordert jedoch, wie auch die Harmonisierung, eine Überarbeitung des Regelwerkes der HSK.
Heute werden diese Entwicklungen verneint. Das ENSI weigert sich schlicht, die neue Gesetzgebung konsequent zu vollziehen, weil sonst die AKW Beznau und Mühleberg unverzüglich ausser Betrieb genommen werden müssten. Wenn Anwohner das rechtswidrige Verhalten des ENSI vor Gericht ziehen, revidiert man stattdessen schnell-schnell die Kernenergieverordnung. Es muss zu Gunsten der Axpo (Zitat Bundesrat) „umgehend wieder Rechtssicherheit hergestellt werden.“
Welche gravierenden Abstriche bei der Sicherheit diese KEV-Revision tatsächlich macht, haben wir offenbar recht gut aufgezeigt, wenn nun schon bürgerliche Politiker nachhaken.
Verdrehung der Tatsachen
Das ENSI schreibt weiter:
Angestossen hat die Revision der Kernenergieverordnung die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit KNS im Jahr 2012. Sie hat damals darauf hingewiesen, dass die Schweizer Praxis im internationalen Vergleich zwar streng sei und ein gutes Sicherheitsniveau gewährleiste, in rechtlicher Hinsicht jedoch Klärungsbedarf bestehe.
Das ist eine 180° Verdrehung der Tatsachen. Was die KNS tatsächlich geschrieben hat, ist dies:
Da die Anforderungen mit abnehmender Häufigkeit steigen, ist das 10 000-jährliche Ereignis hinsichtlich sicherheits-technischer Anforderungen abdeckend für Störfälle der Kategorie 2 (Dosislimite 1 mSv) und müsste nach üblichen Regeln der konservativen Nachweisführung der Störfallkategorie 2 zugewiesen werden. Die Zuordnung des 10 000-jährlichen Ereignisses zu Kategorie 3 (Dosislimite 100 mSv) kommt in der aktuellen gesetzlichen Regelung durch die Grenzwert-zuordnung („Häufigkeit kleiner gleich 10-4 pro Jahr“) in Art. 1 Bst. a Ziff. 3 der UVEK-Verordnung zustande. Diese Zuordnung entspricht bezüglich Sicherheitserdbeben auch der historisch gewachsenen Usanz. Aufgrund der obigen systematischen Überlegungen regt die KNS an, die Grenzwertzuordnung gemäss UVEK-Verordnung im Kontext des geltenden Regelwerks juristisch zu überprüfen.
Die KNS sagt also aus fachlicher Sicht klipp und klar „nach üblichen Regeln der konservativen Nachweisführung“ müsste Störfallkategorie 2 zugewiesen werden, also Dosislimite 1 mSv, nicht 100 mSv. Und die KNS regt an, die „Grenzwertzuordnung gemäss UVEK-Verordnung“ juristisch zu überprüfen, also genau diejenige Bestimmung, auf welcher die falsche Rechtsauffassung des ENSI fusst. Das ENSI verdreht die Aussage der KNS dreist in ihr Gegenteil.
Die weiteren Ausführungen lesen sich weitgehend wie die Eingaben des ENSI im Beznau-Verfahren, wo wir diese minutiös seziert haben. Zum Beispiel verwendet das ENSI die ICRP Vorgaben für den Notfallschutz (Ernstfall) einfach für die Störfall-Vorsorge. Das ist etwa so, wie wenn die Verkehrspolizei allen Autos erlauben würde, ständig mit Blaulicht und Sirene herumzufahren, alle Rotlichter zu überfahren etc.
Wer hat Recht? Im Rechtsstaat wäre es nun Aufgabe des Gerichtes, dies zu beurteilen.
Taschenspielertrick bei der Dosiswirkung
Auch beim Versuch, den 100mSv Dosisgrenzwert zu verharmlosen, greift das ENSI in die Trickkiste:
Um möglichst grosse Vergleichszahlen zu bekommen, bezieht sich das ENSI auf die gesamte Wahrscheinlichkeit, irgend einmal im Leben Krebs zu bekommen. Ein cleverer Taschenspielertrick, denn alle müssen irgendwann sterben, die Frage ist weniger woran, als vielmehr wann. Mit dem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken bzw. zu sterben, deutlich an. Im Alter von 65-84 ist Krebs laut BfS die häufigste Todesursache. So ist es nur logisch, dass die lebenslange Wahrscheinlichkeit für Krebs am Ende einen grossen Anteil ausmacht, die Todesursachen müssen sich schliesslich auch irgendwie zu 100% summieren.
Viel entscheidender ist das Wann. Für Personen, die in jüngeren Jahren einer Dosis von 100mSv ausgesetzt sind, wird die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung bzw. des Krebstodes vorverschoben. Die Kurve wird dann nicht erst in den Mitt-Sechzigern deutlich ansteigen (vgl. Grafik), sondern man muss bereits im „besten Alter“ mit Krebs und Tod rechnen. Für die meisten Leute und ihre Liebsten spielt es durchaus eine Rolle, ob sie mit 40, 50 oder aber erst mit 80 Jahren sterben, auch wenn in beiden Fällen Krebs vorliegt. Wer diese Tatsache erkennt, demaskiert den Vergleich des ENSI.
Wer die Diagnose Krebs bekommt, muss nicht zwingend daran sterben. In Gesundheiststatistiken muss sorgfältig zwischen Erkrankung (Inzidenz) und Sterbefällen (Mortalität) unterschieden werden (vgl. die hellen Balken mit den dunklen in der Grafik oben). Das ENSI ist sich aber nicht zu schade, das eine mit dem anderen zu vergleichen, um einen besseren Propagandaeffekt zu bekommen. Die lebenslang aufsummierte Wahrscheinlichkeit Krebs zu bekommen, wird mit der Wahrscheinlichkeit wegen der 100mSv Dosis sein Leben zu verlieren (sog. ICRP Detriment) verglichen. Damit wird noch einmal um Faktor drei geschummelt. Tatsächlich bekommen nach ICRP Zahlen (ICRP 103, Table A.4.1.) zusätzliche 1.7% aller mit 100mSv verstrahlten Personen Krebs. Die vom ENSI genannten 0.5% sind diejenigen, die deswegen verfrüht ihr Leben verlieren.
Diese Zahlen müssten allerdings nach den WHO-Experten und der Deutschen Strahlenschutzkommission verdoppelt werden (Ablehnung DDREF). Somit muss bei zusätzlich 3.4% der mit 100mSv verstrahlen Personen mit Krebs gerechnet werden. Ungefähr 1.1% werden daran sterben.
Diese Prozentzahlen geben aber wiederum nur den Mischwert über alle Altersklassen wieder. Je jünger eine Person ist, desto stärker ist sie von einer Verstrahlung betroffen. Sowohl biologische Gründe (Wachstum) als auch schlicht die noch lange Lebensdauer erhöhen die Wahrscheinlichkeit, wegen der Strahlung an Krebs zu erkranken bzw. verfrüht zu sterben.
Schweizer Forscher haben 2015 basierend auf dem vollerfassten und daher statistisch mächtigen Schweizer Kinderkrebsregister untersucht, welchen Einfluss die natürliche Strahlung hat. Im Tagesanzeiger wurde das entscheidende Ergebnis wie folgt zusammengefasst:
Das Krebsrisiko nimmt pro Millisievert zusätzlicher kumulierter Dosis um etwa vier Prozent zu, und zwar sowohl für Leukämien wie auch für Hirntumore. Diese Werte ähneln denjenigen einer kürzlich erschienenen Studie aus England, erklärten die Forscher.
Bei 100 mSv beträgt die (relative) Zunahme demnach 4% x 100 = +400%. Eine Verfünffachung der Kinderkrebsrisikos! Die Zusammenhänge sind zudem statistisch signifikant nachgewiesen bei kumulativen Dosis-Werten von lediglich ca. 9mSv. Auch kleinste Dosen sind also nachweislich kreberregend.
Auch dies sieht das ENSI freilich anders:
Mit 100 mSv wird diejenige Dosis als Ausserbetriebnahmekriterium festgelegt, ab der erste Beeinträchtigungen der Gesundheit statistisch nachgewiesen werden können.
Es soll wohl beim geneigten Leser der Eindruck geweckt werden, man wisse gar nicht wirklich, ob es überhaupt schädlich sei.
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