Antwort des ENSI-Rats und Stellungnahme der ENSI-GL zum Brief vom 26.9.2011

Rückblick vom Mai 2012:

Am 14. November 2011 hat der ENSI-Rat auf meinen Brief vom 26.9.2011 geantwortet und die abschliessende Stellungnahme der ENSI-GL beigelegt.

Im Brief wiederholt der ENSI-Rat mehr oder weniger verbatim die vorgebrachten Argumente der ENSI-GL und sieht keinen Handlungsbedarf:

Gesamthaft kommen wir zum Schluss, dass die Geschäftsleitung des ENSI korrekt entschieden hat und kein Grund besteht, die unverzügliche Ausserbetriebnahme von Mühleberg zu verfügen.

Interessanter ist die Stellungnahme der ENSI-GL. Es werden im wesentlichen zwei Argumente vorgebracht.

Erstes Argument:

Bei Auslegungsstörfällen ist zu unterscheiden zwischen schnell ablaufenden Störfällen wie beispielsweise Verlust von Reaktorkühlmittel oder Störungen der Wärmeabfuhr, die ein rasches automatisiertes Eingreifen von (fest installierten) Sicherheitssystemen erfordern und Störfällen wie beispielsweise der Überflutungsfall, bei denen sich das Schadensbild über längere Zeiträume entwickelt.

Bei den sich langsam entwickelnden Störfällen, insbesondere wenn nicht genau vorhergesagt werden kann, wie sich der Störfall im Detail entwickelt, ist es auch international zulässig (siehe z.B. KTA 2207 oder auch Kapitel 3.3.1 des deutschen Zwischenberichtes zum EU Stresstest) und zweckmässig, mobile Einrichtungen wie z.B. Feuerwehr- oder Lenzpumpen zur Störfallbeherrschung heranzuziehen .

Die angeführte Richtlinie KTA 2207 und die Ausführungen im EU Stresstest beziehen sich auf Ausrüstungen zum Gebäudehochwasserschutz. Es handelt sich um Ausrüstung und insbesondere Pumpen zum Trockenhalten von Kellern und dergleichen.

Damit besteht aber selbstverständlich keinerlei Übertragbarkeit für die Situation im AKW Mühleberg, wo zentrale Sicherheitsfunktionen wie die Kernkühlung (Abfuhr der Nachzerfallswärme) und die Kühlung der Notstromdieselgeneratoren mit mobilen Feuerwehrpumpen gewährleistet werden soll.

Die Schweizer Richtlinie ENSI-G-01 regelt die sicherheitstechnische Bedeutung von Ausrüstung genauestens mittels der sogenannten sicherheitstechnischen Klassierung. Und zwar ausdrücklich für „bestehende Kernkraftwerke“. Lenzpumpen zum Trockenhalten von Kellern gehören nicht zu den klassierten Ausrüstungen. Ausrüstungen zum sicherstellen von Kühlwasser und zur Kühlung von Notstromdieselgeneratoren hingegen ausdrücklich.

Die ENSI-G-01 äussert sich auch zur Vollständigkeit der sicherheitstechnischen Klassierung und deren Prüfung mittels deterministischer Störfallanalyse. Daraus lässt sich ableiten, dass sämtliche Ausrüstung, die in einer deterministischen Störfallanalyse beansprucht werden soll, auch sicherheitstechnisch klassiert sein muss. Die mobilen Feuerwehrpumpen in Mühleberg und auch die neu erstellte Einspeisestelle sind selbstverständlich nicht klassiert.

Das erste Argument des ENSI ist somit falsch. Und es sei angemerkt, dass ich das Argument der sicherheitstechnischen Klassierung in meinem Brief angeführt hatte.

Zweites Argument:

Auch in der Schweiz sind solche Notfallschutzmassnahmen gemäss der Richtlinie ENSI-A01 bezüglich der Anforderungen an die deterministische Störfallanalyse zulässig. Kapitel 4.4.4 Bst. b besagt bezüglich Auslegungsstörfällen, dass sicherheitsrelevante Handlungen des Betriebspersonals nach dem auslösenden Ereignis berücksichtigt werden können, falls ausreichend Zeit für die Diagnose und die Ausführung der Handlungen zur Verfügung steht.

Die Auffassung des ENSI wird auch durch die diesbezüglichen Anforderungen der IAEA bestätigt. Abschnitt 5.28 der IAEA Safety Requirements NS-R-1 „Safety of Nuclear Power Plants: Design“ hält bezüglich Auslegungsstörfällen fest:

5.28. Where prompt and reliable action is necessary in response to a PIE1, provision shall be made to initiate the necessary actions of safety systems automatically, in order to prevent progression to a more severe condition that may threaten the next barrier. Where prompt action is not necessary, manual initiation of systems or other operator actions may be permitted, provided that the need for the action be revealed in sufficient time and that adequate procedures (such as administrative, operational and emergency procedures) be defined to ensure the reliability of such actions.

Das zweite Argument bezieht sich also auf die Handlung und es wird behauptet, weil solche Handlungen in der Schweiz nach 30 Minuten zulässig seien, könne man auch das Hantieren mit diesen Feuerwehrpumpen erlauben.

Auch dieses Argument ignoriert die sicherheitstechnische Bedeutung dieser Handlungen und setzt den spezifischen Fachbegriff des „Accident Management“ ganz einfach mit dem Allgemeinbegriff der „Operator Action“ gleich.

Zur Erinnerung: Das ENSI selber hat die Massnahmen als Accident Management eingestuft:

Das ENSI beurteilt diese Nachrüstung zur Versorgung des SUSAN-Einlaufs mit Kühlwasser als eine zusätzliche Einrichtung, mit der die Kühlwasserversorgung des SUSAN mit hoher Zuverlässigkeit im Rahmen von AM-Massnahmen gewährleistet werden kann.

Nun verweise ich als einfachstes Argument einfach auf den Anhang jeder IAEA Richtlinie NS-R-1, die das ENSI anführt und die Begriffsdefinition von „Accident Management“:

accident management. The taking of a set of actions during the evolution of a
beyond design basis accident:
— to prevent the escalation of the event into a severe accident;
— to mitigate the consequences of a severe accident; and
— to achieve a long term safe stable state.

Man sieht: Accident Management oder „Notfallschutzmassnahmen“, wie sie das ENSI nennt, sind ausschliesslich für auslegungsüberschreitende Störfälle zulässig. Die Achtung dieser Abgrenzung war ja sogar Herrn Ineichen von der BKW „ein Anliegen“ (Tonaufzeichnung).

Auch das zweite Argument des ENSI ist vor dem Hintergrund grundsätzlicher Begrifflichkeiten der Nuklearen Sicherheit falsch.

Eine wesentlich ausführlichere Argumentation werde ich später im Rahmen des Rechtsverfahrens abgeben.

Antwort des ENSI-Rats und Stellungnahme der ENSI-GL zum Brief vom 26.9.2011

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