Der Sonntag: „Risiko seit 1991 verniedlicht“

Im Artikel „Risiko seit 1991 verniedlicht“ schreibt Der Sonntag am 26. August 2012 über die Minus-11-Meter Ebene des AKW Mühleberg (leider nicht online). Von Yves Demuth.

In Mühleberg sind alle Notkühlpumpen im selben Raum, was ein Gutachten bereits 1991  als «auffälligste Schwachstelle» des AKWs bezeichnet hat. Die Atomaufsicht tolerierte  dieses Sicherheitsdefizit bis vor kurzem.

Vor genau einem Jahr wollte ich beim ENSI Unterlagen dazu anfordern, was mir die Behörde mit Verweis auf „die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz“ verwehrte.

Dies beschied die Atomaufsicht dem Mühleberg-Anwohner und Ingenieur Markus Kühni. Er wollte wissen, wie gross die Gefahr von internen  Überflutungen oder Bränden im Untergeschoss des AKW-Reaktorgebäudes ist. Dort sind in einem ringförmigen Raum 11 Meter unter dem Boden sämtliche Pumpen angebracht, die im Notfall die Kühlung des Reaktors garantieren müssten. Und genau dort besteht laut aktuellem  Ensi-Erdbebenbericht die Gefahr von Leckagen aus dem übergelagerten  Brennelementbecken, was zu einer gefährlichen Situation führen kann: Die Wassermassen
könnten die Notkühlung ausser Gefecht setzen, was die Reaktor-Temperatur unkontrollierbar ansteigen liesse.

Der Artikel verweist auf die sogenante Minus-11-Meter-Ebene  des AKW Mühleberg, zuunterst im Reaktorgebäude (-11 Meter unter dem Geländeniveau).


3D-Grafik: siehe 3D Modell des AKW Mühleberg ->

Weil dort (aus pysikalischen Gründen zuunterst im Gebäude) sämtliche Notkühlpumpen angeordnet sind und der ringförmige Raum keine Abtrennungen hat, werden diese Systeme allesamt durch sogenannt „übergreifenden Einwirkungen“ gefährdet. Dazu gehört insbesondere interne Überflutungen und Brände. Die übliche Massnahme, die wichtigsten Systeme zur Sicherheit doppelt auszuführen (Mehrstrangigkeit/Redundanz) ist damit völlig wirklungslos, weil beide Stränge gleichzeitig ausgeschaltet werden.

Dagegen hilft nur räumliche Trennung, ein uraltes Prinzip der Nuklearen Sicherheit. In den USA wurde dieses Prinzip für die allerwichtigsten Komponenten (Reaktorschutz) bereits 1967 in den sogenannten  „General Design Criteria (GDC)“ auf Bundesgesetzstufe festgeschrieben. Später wurde dieses Kriterium verallgemeinert, nicht zuletzt führte der Brand im AKW Mühleberg von 1971 (bei Inbetriebnahmetests)  zur Einsicht, dass räumliche Trennung notwendig ist:

Das Ereignis fand weitherum Beachtung und beeinflusste internationale Brandschutzvorschriften. Es zeigte auch, dass das Prinzip «Redundanz» für Sicherheitsausrüstungen in gewissen Fällen allein nicht genügt, sondern durch das Prinzip «Separation» ergänzt werden muss.

Quelle: Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen, 1960-2003, Roland Naegelin, Seite 184

Absolut unverständlich war dann, dass die vielgerühmte Nachrüstung des Notstandsystemes (SUSAN) zwanzig Jahre später diesen gravierenden Mangel nicht behob. Die Aufsichtsbehörde (damals HSK) genehmigte 1991 trotz umfangreicher Umgestaltung der Sicherheitssysteme ein Sicherheitskonzept, das in keiner Weise dem Stand der Technik entsprach.

Daraufhin sollte das AKW Mühleberg sogar eine unbefristete Bewilligung bekommen, wogegen sich natürlich Widerstand formierte. In der Einsprache der Kritiker wird im Gutachten „Ökoinstitut: Beurteilung der zur Erlangung einer endgültigen Betriebsbewilligung für das KKW Mühleberg öffentlich aufgelegten Unterlagen Teil A, 1991“ erwähnt (Seite 33):

4.3 Fehlende räumliche Trennung im Reaktorgebäude

Eine zentrale Schwäche des Reaktorgebäudes des KKW Mühleberg ist die fehlende räumliche Trennung der dort aufgestellten Sicherheitssysteme. Im wesentlichen finden sich diese auf den unteren Gebäudekoten, (siehe Abbildung 12.1.3a ff in <BKW 1990>. Eine ganze Reihe von Systemen findet sich auf der untersten Kote -11 m. Dort liegt der Raum, in dem sich der Torus des Containments befindet.

ln diesem Raum sind jeweils Aggregate beider Stränge meist direkt nebeneinander untergebracht, teils auch an verschiedenen Stellen, aber ohne eigentliche räumliche Trennung:

Und später (Seite 38):

Eine vollständige räumliche Trennung hat auch den Vorteil, dass nicht vorhergesehene übergreifende Fehler – beispielsweise konstruktiver Natur oder bei der Instandhaltung – in gewissem Rahmen eher beherrscht werden. Die realen Auslegungsreserven einer Anlage werden daher durch die vollständige räumliche Trennung deutlich vergrössert.

Co-Autor der damaligen Studie ist übrigens Michael Sailer, den das Ensi im Oktober 2011 in den Beirat Expertengruppe Reaktorsicherheit (ERS) berufen hat.

Der Bundesrat wollte bei seinem Entscheid zur Betriebsbewilligung von 1992 nichts von diesen Bedenken wissen:

4.1.2 Separation, räumliche Trennung

Ein grosser Teil der Einsprecher kritisiert, die räumliche Trennung der Sicherheitssysteme  sei mangelhaft.

Die Separation wird im HSK-Gutachten ausführlich behandelt und bewertet. Demnach  bestehen im KKM mindestens drei Stränge der Sicherheitssysteme, welche die  Separationskriterien grundsätzlich erfüllen. Einzig auf der Kote -11m im Reaktorgebäude  ist die räumliche Trennung nicht vollständig. Räumliche Trennung bedeutet aber nicht  zwangsläufig die Aufstellung der Sicherheitssysteme in verschiedenen Räumen. Auch  Distanz kann gegen systemübergreifende Einwirkungen schützen. […]

Am 14. August 2012 kam nun die Wende: die BKW hat in ihrem „Mediengespräch Kernkraftwerk Mühleberg“ — etwas versteckt zwischen anderen, bereits bekannten Bauvorhaben — erstmals das „Zusätzliche Nachwärmeabfuhr-System (ZNS)“ zur „Erhöhung der Sicherheit durch räumliche Trennung“ erwähnt:


Quelle: BKW: Mediengespräch Kernkraftwerk Mühleberg, Verlängerungsgesuch und umfassendes Instandhaltungskonzept für den Langzeitbetrieb, Bern, 14. August 2012

Damit gibt die BKW erstmals zu, dass die fehlende räumliche Trennung ein Problem darstellt. Sie gibt den Kritikern von vor 20 Jahren Recht. Dass auch eine ganz reale Gefährdung dahinter steckt, sehen Sie weiter unten.

Der Sonntag fragte nach. Bei der BKW:

Die Notwendigkeit dieser «Optimierungsarbeiten» ist laut BKW eine Erkenntnis, die sich erst in den letzten Monaten konkretisiert habe.

Bei Jürg Aerni, der bei den Einsprachen 1991 massgeblich beteiligt war:

Der langjährige Atomkraftgegner Jürg Aerni ist darüber überrascht: «Es ist erstaunlich, dass die Schweizer Atomaufsicht nach 21 Jahren eingesteht, es gäbe auf der Minus-11-Ebene doch ein Problem.»

Beim ENSI:

Das Ensi antwortet auf die Kritik nur pauschal: «Das Kernkraftwerk Mühleberg erfüllt die geltenden Sicherheitsanforderungen.»

Und bei mir:

[…] Mühleberg-Kritiker Markus Kühni [sieht] Mängel bei der Atomaufsicht. «Sie haben 20 Jahre lang behauptet, es brauche keine räumliche Trennung, weil Leckagen ausgeschlossen seien. Nun haben die Kritiker einmal mehr recht bekommen. Das Ensi sollte jetzt endlich seine Prozesse überprüfen und danach die Konsequenzen für das AKW Mühleberg ziehen.»

Schliesslich führt die BKW den offiziellen Kernenergie-Slogan zur Entschuldigung längjähriger Irrtümer an:

Die BKW entgegnet, Sicherheit sei ein ständiger Prozess, dem sich das AKW Mühleberg stelle. «Die BKW ist für diese Sicherheit verantwortlich. Sobald wir neue Erkenntnisse haben, handeln wir.»

Es brauchte von 1971 (vom Brand im eigenen AKW) bis 2012, also gut 40 Jahre, bis die „Erkenntnis“ der Notwendigkeit räumlicher Trennung bei der BKW endlich durchgesickert ist. Ein wahrlich langandauernder „Prozess“.

Die Kehrtwende der BKW wird jedoch keineswegs freiwillig vollzogen. In den Erdbebennachweisen vom 9. Juli 2012 berichtet die BKW von Leckagen aus dem Brennelementbecken, welche die Minus-11-Meter Ebene überschwemmen. Es braucht Pumpen, um das Leckwasser rechtzeitig wieder in den Torus zurückzupumpen, damit nicht der Totalausfall sämtlicher Notkühl-Systeme eintritt.

Bei der Nachweisführung dieser Rückpumpmassnahmen sind gravierende Verstösse gegen geltendes Regelwerk festzustellen. Das Ausserbetriebnahmekriterium ist einmal mehr erfüllt. Ich werde zu gegebener Zeit darüber berichten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Leider wird dieses Formular von SPAM-Robotern missbraucht. Bitte beweisen Sie mit der folgenden Rechenaufgabe, dass Sie ein Mensch sind, vielen Dank. *