Der Sonntag: Schlägt morgen die letzte Stunde von Mühleberg?

In der Ausgabe vom 8. Juli 2012 berichtet Der Sonntag im Artikel „Schlägt morgen die letzte Stunde von Mühleberg?“ (nicht online) unter anderem über die Unregelmässigkeiten beim EU Stresstest Report des AKW Mühleberg. Von Yves Demuth.

Der Artikel beleuchtet die „Präsentation der Stellungnahme des ENSI zu den Erdbebennachweisen der Schweizer Kernkraftwerke„, die anderntags ansteht. Dabei blickt der Autor auch auf den EU Stresstest zurück, welcher letztmals Erdbebensicherheitsnachweise für die AKW enthielt:

Neuster Fall: Die BKW hat beim vom Ensi verordneten EU-Stresstest die Erdbebenfestigkeiten für das Pumpen- und das Maschinenhaus schlicht weggelassen. Die zwei Gebäude enthalten Sicherheitseinrichtungen, die bei zentralen Stresstests angerechnet wurden.

Damit nimmt der Artikel die Tatsache auf, dass die BKW in ihrem Stresstest-Report zwar behauptet, „Die Bauwerke, deren Versagen die Funktionsfähigkeit der Systeme beinträchtigen könnte, werden ebenfalls in die Abfahrpfade aufgenommen“, dann aber das Pumpen- und das Machinenhaus „vergisst“, obwohl dort Ausrüstungen untergebracht sind, welche für die Funktion des Abfahrpfades unerlässlich sind (Dieselgenerator für die Stromversorgung, Pumpen und Siebbandmaschinen für die Hilfskühlwasserfassung, etc.).

Der Ingenieur und Mühleberg-Kritiker Markus Kühni sagt deshalb: «Die BKW hat diese Gebäude unterschlagen, um ihr AKW bei den Tests noch irgendwie durchzumogeln.» Die BKW stellt sich hingegen auf den Standpunkt, diese Gebäude seien im Stresstest-Report nicht aufgeführt, da sie erdbebenfest und deshalb irrelevant seien. Weshalb die Gebäude, die 2007 noch als erdbebenuntauglich eingestuft wurden, plötzlich so sicher sind, wollte die BKW indes nicht beantworten. Ebenso wenig wie das Ensi, das den Test abgenommen hat.

Die beiden Gebäude sind in den bisherigen Sicherheitsberichten beide als nicht erdbebentauglich klassiert und richtigerweise wird dann auch die Funktion der Sicherheitseinrichtungen als nicht verfügbar angegeben.

Die BKW versucht sich gegenüber dem „Sonntag“ herauszureden (dies die mir von Herrn Demuth vorgelegte Antwort):

Von: Antonio.Sommavilla@bkw-fmb.ch
Gesendet: Freitag, 6. Juli 2012 16:33

[…]

Gebäude, deren Versagen nur einzelne Systeme betreffen könnten sind aber nicht mit aufgeführt, sofern sie seismisch robuster sind als die sich darin befindenden Systeme.

Das Pumpenhaus und das Maschinenhaus wurden folglich in Tabelle 15 nicht separat ausgewiesen, da diese Gebäude seismisch robuster sind als das Hilfskühlwassersystem (PH) und das Notstromdieselaggregat (DG).

Diese Aussage widerspricht zu 100% den letzten, offiziellen Sicherheitsdokumenten von 2007. Die erwähnten Systeme werden dort als erdbebenklassiert gelistet, während deren Gebäude bei der letzten Erdbebenrequalifizierung durchgefallen sind. Falls die Erdbebenfestigkeiten der Gebäude tatsächlich neu berechnet worden ist, dann kann deren sicherheitstechnische Neueinstufung sicherlich nicht „unter dem Tisch“ erfolgen. Aus fachlicher Sicht spottet die Behauptung bzw. das Vorgehen der BKW mit Blick auf schweizerische und internationale Regelwerke jeder Beschreibung.

Das ENSI hat diese Unregelmässigkeiten in seinem nationalen EU Stresstest Report mittels einer unglaublich gewundenen Formulierung durchgewinkt:

Insofar as is explicitly reported, the safety trains of all the Swiss nuclear power plants have safety margins against seismic hazard level H2.
[Quelle: EU Stress Test: Swiss National Report, Seite 22, Hervorhebung nicht im Original]

Insofern, wie ausdrücklich darüber berichtet wird, weisen die Abfahrpfade aller Schweizer AKW Sicherheitsmargen gegenüber der Erdbebengefährdung H2 aus.
[eigene Übersetzung]

Es stellt sich also „wissend unwissend“ über die sicherheitstechnische Gebäudedisposition eines beaufsichtigten AKW. Das ist unbeschreiblich.

Die durchgewinkten Sicherheitseinrichtungen werden sodann bei der Diskussion von zentralen Stresstests über den Verlust der Wärmesenke und den Verlust der Stromversorgung unbekümmert voll angerechnet. Dies, obwohl der EU Stresstest klar verlangte, “die Konsequenzen des Verlusts von Sicherheitsfunktionen durch jedes am Standort denkbare auslösende Ereignis” („Consequence of loss of safety functions from any initiating event conceivable at the plant site“), also sicherlich auch durch ein Erdbeben anzunehmen.

Zur Erinnerung: Es war Sinn und Zweck des EU Stresstests, aus dem Erdbeben bei Fukushima und seinen direkten und indirekten Folgen die Lehren zu ziehen.

Das ENSI akzeptiert diese „Sonnenschein-Nachweise“ der BKW vollumfänglich. Als Ergebnis meldet das ENSIEU-Stresstest bestätigt Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke“ und sieht später ein „Hohes Sicherheitsniveau der Schweizer Kernkraftwerke bestätigt„.

Im Artikel vom Sonntag kommentiere ich diese unerhörten Vorgänge eher diplomatisch:

Es sei sehr schwierig, Vertrauen in eine Aufsichtsbehörde zu haben, die solches durchwinkt, sagt Kühni.

Autor Yves Demuth sieht es ähnlich und fordert einen „Stresstest für die Atomaufsicht„.

Belege und eine detailliertere Dokumentation der Unregelmässigkeiten finden Sie im Artikel „Unregelmässigkeiten beim EU Stresstest Report des AKW Mühleberg“ →

Eine weitere Beurteilung des EU Stresstest Ergebnisses von Mühleberg diskutiert der Artikel „Der Bund: Nuklearprofessor: AKW Mühleberg weist grundlegenden Sicherheitsmangel auf“ →

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