Tagesanzeiger: „Breite Front gegen «Lex Beznau»“

Der Tagesanzeiger zeigt im Artikel „Breite Front gegen «Lex Beznau»“ die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Revision der Kernenergieverordnung auf (von Stefan Häne).

Wie viel Radioaktivität darf ein AKW bei einem schweren Erdbeben freisetzen? Der Vorschlag des Bundesrats fällt durch – bei Kantonen, Städten und in Deutschland.

Wie an unserer Medienkonferenz dargelegt, will der Bundesrat die rechtswidrige Praxis des ENSI in der Kernenergieverordnung festschreiben, noch während unser Beznau Verfahren läuft.

Der Bundesrat will den Grenzwert bei 100 Millisievert fixieren und so die langjährige Praxis der Atomaufsichtsbehörde des Bundes (Ensi) fortsetzen. Wo die Limite festgesetzt wird, ist entscheidend. Wird sie überschritten, muss ein Meiler zumindest für Nachrüstungen vom Netz, eventuell sogar für immer.

Wie sich nun zeigt, ruft der Plan des Bundesrats Widerstand hervor – nicht nur bei den Linksparteien und Umweltverbänden, die einen hundertmal tieferen Grenzwert fordern. Die Mehrheit der Kantone lehnt das Vorgehen der Regierung ebenfalls ab, wie die Vernehmlassungsantworten zeigen.

Einer der Gründe: Die Praxis des Ensi, die der Bundesrat weiterspinnen möchte, ist juristisch umstritten. Seit 2015 kämpfen Anwohner des AKW Beznau und Umweltverbände für den Grenzwert von 1 Millisievert, der sich ihrer Ansicht nach aus den geltenden Bestimmungen ergibt; sie sind es auch, welche die Vorlage als «Lex Beznau» bezeichnen.

Auswertung durch ehemaligen KSR-Präsidenten

Der ehemalige Präsident der Eidgenössischen Kommission für Strahlenschutz (KSR) Dr. André Herrmann hat sich bereits im Vorfeld deutlich gegen die Revision ausgesprochen. Nun hat er eine eindrückliche Auswertung und Zusammenfassung der Stellungnahmen mit den wichtigsten Auszügen geschrieben:

Bilanz

Gruppe Zustimmung Ablehnung/
Zurückhaltung
Kantone 4 16
Städte und Gemeinde (12 CH und 23 D) 0 35
Politische Parteien (40 CH und 3 D) 3 40
Kommissionen und Behörden (5 CH und 1 D) 2 4
Wirtschaftsverbände (10 CH und 1 D) 7 4
NGO (9 CH und 5 D) 0 14
Weitere Vereinigungen (26 CH) 2 24
Einzelpersonen (93 CH, 92 D und 2 F) 0 187
Total 18 324

Das ist kombiniert mit den teils deutlichen Aussagen doch erfreulich (Hervorhebung hinzugefügt).

Kanton Appenzell Innerrhoden

Mit der vorgeschlagenen Teilrevision […] werden die Sicherheitsanforderungen und damit das Schutzniveau für die Bevölkerung herabgesetzt. Die Festsetzung eines Dosisgrenzwerts für Expositionen infolge planmässig definierter Störfälle auf 100 mSv widerspricht den Grundsätzen des Strahlenschutzes (vgl. Art. 8 ff. Strahlenschutzgesetz [StSG, SR 814.50], betreffend Rechtfertigung einer Strahlenexposition, Begrenzung der Strahlenexposition und Dosisgrenzwerte gemäss Art. 6 Strahlenschutzverordnung [StSV, SR. 814.501] und dem Vorsorgeprinzip (Art. 74 Abs. 2 Bundesverfassung, SR 101). Eine Ausserbetriebnahme eines KKW erst bei einer 30-fachen Überschreitung der natürlichen Hintergrundstrahlung in der Schweiz (rund 3 mSv) ist nicht gerechtfertigt.

Kanton Bern

Grundsätzlich ist aus Sicht des Kantons Bern für die Auslegung und den Betrieb von Kernkraftwerken Art. 123 der Strahlenschutzverordnung (StSV) massgebend. Dieser definiert für Häufigkeitsintervalle, welche maximale Dosis bei einem Störfall für Personen aus der Bevölkerung höchstens resultieren dürfte. Mit der Anpassung von Art. 8 KEV wird nun für Naturereignisse von dieser Betrachtung abgewichen, indem nur noch zwei relevante Ereignishäufigkeiten (nämlich 10-3 und 10-4) betrachtet werden. Dies hat zur Folge, dass unter Umständen und in der Praxis die Auslegung der Kernkraftwerke den Bestimmungen von Art. 123 StSV nicht entspricht. Die damit einhergehende Senkung des Sicherheitsniveaus ist aus Sicht des Kantons Bern nicht hinzunehmen. Die Unklarheiten bei der Anwendung von Art. 8 KEV sind nicht ein Ergebnis der Formulierung in der KEV, sondern der Definition von Intervallen mit «Sprüngen» an den Intervallgrenzen in Art. 123 StSV. Für eine Klärung ist folgerichtig das Grundkonzept hinter Artikel 123 StSV zu überprüfen.

Auch in Bezug auf Artikel 44 KEV ist der Kanton Bern der Meinung, dass die bisherige Bezugnahme auf Art. 8 KEV bzw. indirekt auf Art. 123 StSV grundsätzlich richtig ist. Die vorgeschlagene Anpassung, welche nur noch den Grenzwert von 100 mSv für alle Häufigkeitsintervalle berücksichtigt, stellt eine Senkung des Sicherheitsniveaus dar und ist deshalb abzulehnen.

Kanton Schaffhausen

Eine Zuordnung der 10’000-jährlichen Ereignisse zur Störfallkategorie gemäss Art. 123 Abs. 2 lit. d StSV (Dosiswert 100 mSv) kann auch deshalb nicht im Sinne des Bevölkerungsschutzes sein, weil Werke, welche heute 1 mSv einhalten können, sich bei künftigen Auslegungsüberprüfungen mit allfällig notwendigen Sicherheitsmassnahmen an den 100 mSv orientieren würden. In der Konsequenz könnte sich dies ebenfalls negativ auf die Sicherheit auswirken, was inakzeptabel ist.

Kanton Genf

Le Conseil d’Etat ne peut soutenir la modification proposée, qui prolonge de facto la durée d’exploitation de centrales nucléaires, s’écartant des objectifs de la Stratégie énergétique 2050 largement soutenue par la population.

Klare Voten. Da kann man ja gespannt sein, ob der Bundesrat die Revision dennoch durchzwängt.

Weitergehende Informationen

 


Letzte Änderung 7.6.2018.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Leider wird dieses Formular von SPAM-Robotern missbraucht. Bitte beweisen Sie mit der folgenden Rechenaufgabe, dass Sie ein Mensch sind, vielen Dank. *