Tagesanzeiger: „Umstrittene Offensive der AKW-Aufsicht“

Dieser Tage wird über das Postulat 18.3175 von Ständerat Damian Müller (FDP) beraten, welches einen Prüfbericht durch unabhängige Fachexperten fordert, um die Konsequenzen der vorgesehenen Teilrevision der Kernenergieverordnung aufzuzeigen. Nachdem auch eine breite Front von Kantonen, Gemeinden etc. gegen die Revision Stellung genommen haben, liegen beim ENSI offenbar die Nerven blank. Es schaltet eine beispiellose PR-Kampagne inkl. teures Video.

Der Tagesanzeiger bringt einen vielsagenden Artikel dazu. Von Stefan Häne.

Ein FDP-Ständerat wirft der Atomaufsicht des Bundes vor, eine delikate Untersuchung verhindern zu wollen.

Die Energiepolitiker des Ständerats  werden nächste Woche ein heisses Eisen anfassen müssen, verpackt in ein Postulat von Ständerat Damian Müller (FDP). Vordergründig geht es um eine technische Frage: Wie viel Radioaktivität soll die Bevölkerung maximal ausgesetzt sein, wenn ein Erdbeben, wie es alle 10 000 Jahre zu erwarten ist, ein AKW erschüttert? Wo die Limite festgesetzt wird, ist entscheidend. Wird sie überschritten, muss eine Anlage für Nachrüstungen vom Netz, eventuell für immer.

Um den Grenzwert tobt ein Streit: Liegt die Limite bei 100 Mülisievert, wie die Atomaufsichtsbehörde Ensi argumentiert? Oder bei 1 Millisievert, wie die Umweltverbände sagen?

Nachdem diverse Experten und Verantwortliche der Kantone die Revision scharf kritisiert haben, soll es die  PR-Offensive richten.

Nicht nur für Atomgegner ist klar, dass der Zeitpunkt der Offensive kein Zufall sei. Auch Müller zeigt sich irritiert: «Wenn nun mit einem teuren PR-Video auf Kosten der Steuerzahler ein Prüfbericht verhindert werden soll, kann etwas nicht stimmen.»

Der Artikel schliesst mit einer bedenkenswerten Variante von „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“:

Das Ensi sieht das anders. Als zuständige Fachbehörde sei es seine Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren. Auch die ständerätliche Energiekommission setze sich nun mit der Thematik auseinander. Das Video hat 10 000 Franken gekostet, wie die AKW-Aufsicht offenlegt. Haben das die Steuerzahler berappt? Das Ensi sagt dazu, es werde zu 95 Prozent durch Gebühren der AKW-Betreiber finanziert.

Vollständiger Artikel (mit freundlicher Genehmigung des Autors):

Rückblick

Im August 2015 eröffneten Anwohner mit Unterstützung von TRAS, SES und Greenpeace ein Rechtsverfahren gegen das ENSI, weil es beim Erdbebennachweis des AKW Beznau den falschen Dosisgrenzwert anwendete, die ausgewiesen hohe radioaktive Verstrahlung der Bevölkerung tolerierte und folglich die Forderung zur unverzüglichen vorläufigen Ausserbetriebnahme und Nachrüstung des AKW unterliess (ich arbeite als Fachberater am Verfahren mit).

Im April 2017 erfolgte die Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht. Da schienen die Behörden eine Niederlage nicht mehr auszuschliessen; mitten im laufenden Verfahren sollte nun schnell-schnell die Gesetzgebung an die rechtswidrige Praxis des ENSI bzw. an die Sicherheitsdefizite des AKW Beznau angepasst werden. O-Ton UVEK Vernehmlassung:

Da die Verfügung des ENSI beim Bundesverwaltungsgericht angefochten wurde, muss in dieser Frage umgehend wieder Rechtssicherheit hergestellt werden. Die bisherige Praxis soll nun auf Verordnungsstufe klar und eindeutig abgebildet werden.

Die Teilrevision der Kernenergieverordnung mit einem Kahlschlag bei Dosisgrenzwerten und Ausserbetriebnahmekriterien wurde aufgegleist.

Der Vorgang wurde in breiten Kreisen als stossend empfunden, so kam es zu Postulat 18.3175. 

Zu den betroffenen Strahlenschutz-Grenzwerten läuft jedoch derzeit ein Gerichtsverfahren vor Bundesverwaltungsgericht, in dem das Ensi als Partei auftritt. Es kann deshalb in der Sache nicht als unbefangen betrachtet werden. Es ist aus diesem Grund angebracht, Fachexperten von Institutionen, die nicht in das laufende Gerichtsverfahren involviert sind, die Tragweite der Verordnungsanpassungen überprüfen zu lassen.

Kommentar: Bitte kein Tageslicht reinlassen

Ein Gerichtsverfahren? Ein Prüfbericht unabhängiger Fachexperten? Beides sind legitime Mittel, um Licht in eine Materie zu bringen, die für viele Entscheidungsträger technisch und rechtlich zu komplex ist, um sich selber ein Urteil zu bilden. Auf ENSI und UVEK darf man sich gerade nicht verlassen, denn wie im Postulat richtig gesagt wurde, sind diese befangen. Gleiches gilt übrigens auch für die Kommission für Nukleare Sicherheit (KNS), wo stossenderweise immer noch Urs Weidmann amtet, welcher als Leiter des AKW Beznau eben jenen Erdbebennachweis zu verantworten hatte, um den es im Verfahren und somit bei dieser „Lex Beznau“ geht.

Hätten die Behörden mit ihren Behauptungen recht und nichts zu verbergen, könnten sie gelassen das Gerichtsverfahren abwarten oder wenigstens jetzt den geforderten Prüfbericht begrüssen.

Ein PR-Video? Darf ich auch mal?


„Illustration der Angst vor dem Tageslicht“. Aus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens,“ Deutschland, 1922

(Inhaltlich werde ich mich zu einem späteren Zeitpunkt mit den PR-Artikeln befassen.)

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