Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Betriebsbewilligung des Kernkraftwerks Mühleberg

Rückblick vom Juni 2012:

Am 1. März 2012 hat das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil in Sachen Beschwerde gegen die „Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung für das Kernkraftwerk Mühleberg“ gefällt.

Siehe hierzu vorgängig die Gerichtsverhandlung zur Beschwerdesache “Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung für das KKM” → [Verweis nachträglich hinzugefügt]

In seiner Medienmitteilung vom 7. März 2012 schreibt das Gericht:

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hat am 1. März 2012 die Beschwerden von Ursula Balmer-Schafroth und Mitbeteiligten gegen die vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) verfügte Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung teilweise gutgeheissen. Das Kernenergierecht verlangt aus polizeilichen Gründen eine Befristung, wenn Sicherheitsaspekte ungeklärt oder Mängel nachzubessern sind, aber eine Verweigerung der Bewilligung unverhältnismässig wäre.

Der Zustand des Kernmantels, die nicht abgeschlossene Beurteilung der Erdbebensicherheit und die fehlende von der Aare unabhängige Kühlmöglichkeit lassen einen Betrieb des KKW Mühleberg höchstens bis Mitte 2013 zu.

Das Urteil selber benutzt deutliche Worte:

Ob die Mängel überhaupt behoben werden können und ob dies möglich wäre, ohne dass dies faktisch zum Neubau eines KKW am gleichen Ort führt (wofür ein vollumfängliches Bewilligungsverfahren erforderlich wäre), kann an dieser Stelle offen bleiben. Es kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass für die Behebung der genannten Mängel grosse Investitionen erforderlich sind, die nur bei einer erheblichen Verlängerung der Laufzeit des KKW wirtschaftlich sein dürften. Im Interesse der Rechts und Investitionssicherheit sowie um eine gesamthafte Beurteilung der Situation überhaupt erst zu ermöglichen, ist ein umfassendes Instandhaltungskonzept erforderlich, das eine gesamthafte Beurteilung zulässt. Es geht nicht an, ein KKW, das bereits so lange in Betrieb ist, auf Zusehen weiter zu betreiben und hierbei allein auf die laufende Aufsicht zu vertrauen. Die bisherige schrittweise Nachrüstung der Anlage ohne Gesamtkonzept ist weder bezüglich der Rechtssicherheit noch der Wirtschaftlichkeit noch der Gewährleistung der Sicherheit befriedigend.

Als Konsequenz wird der Betrieb bis Mitte 2013 befristet:

Die heute bekannten offenen bedeutsamen sicherheitsrelevanten Aspekte – namentlich der Zustand des Kernmantels, die offenen Fragen im Zusammenhang mit der Erdbebensicherheit und die fehlende von der Aare unabhängige Kühlmöglichkeit – rechtfertigen eine erneute Befristung der Betriebsbewilligung gestützt auf Art. 21 Abs. 2 KEG bis zum 28. Juni 2013.

Schliesslich zeigt das Gericht der BKW aber auch den Weg auf, um die Bewilligung doch noch zu verlängern:

Wenn die Beschwerdegegnerin das KKW Mühleberg über diesen Zeitpunkt hinaus betreiben möchte, so müsste sie dem UVEK frühzeitig ein Verlängerungsgesuch für die Betriebsbewilligung einreichen, welches ein umfassendes Instandhaltungskonzept enthält. Darin hätte sie darzulegen, welche Massnahmen sie in welchem Zeitraum ergreifen möchte, damit die heute bekannten und allenfalls neu auftretende Mängel behoben werden und der Betrieb auch längerfristig den Sicherheitsanforderungen genügt, welche Kosten damit verbunden wären und für welchen Zeitraum sie den Weiterbetrieb des KKW Mühleberg beantragt. Sollte die Beschwerdegegnerin kein Verlängerungsgesuch mit einem umfassenden Instandhaltungskonzept einreichen, erlischt die Betriebsbewilligung am 28. Juni 2013. Falls sie ein Instandhaltungskonzept einreicht, wird das UVEK als verantwortliche Behörde dieses zu prüfen und mittels anfechtbarer Verfügung über die Frage zu befinden haben, ob für das KKW Mühleberg eine unbefristete oder erneut eine befristete Betriebsbewilligung erteilt werden kann oder ob es stillzulegen ist.

Das Urteil ist also keineswegs das „Aus für AKW Mühleberg“, wie das manche Medien voreilig verkündet haben. Was danach Politiker von allen Seiten über dieses Urteil gesagt haben, hat ebenfalls sehr wenig mit seinem Inhalt zu tun.

Besonders störend empfand ich die Wortmeldung von Herrn Alt Bundesrat Moritz Leuenberger:

Wenn die Sicherheit nicht mehr gewährleistet wäre, müsste Mühleberg jetzt abgestellt werden. Zu sagen, die Sicherheit sei jetzt noch gewährleistet, dann aber im Juli 2013 nicht mehr, ist nichts anderes als eine politische Befristung, wie sie unter früherem Recht galt.

[Quelle: Radio DRS: „Alt Bundesrat Leuenberger nimmt Stellung“, 8.3.2012]

Diese Aussage berührt den Kern des Urteils und sie ist grundfalsch.

Dazu sei die „Botschaft […] zu einem Kernenergiegesetz, vom 28. Februar 2001“ des Bundesrats zitiert (Seite 2770 ff.):

Nach Absatz 2 kann die Betriebsbewilligung entsprechend einem verwaltungsrechtlichen
Grundsatz befristet werden. Eine solche Befristung ist keine gesetzliche Befristung im Sinne der Festlegung der Lebensdauer eines Kernkraftwerks, wie sie der Bundesrat abgelehnt hat (vgl. Botschaftsteil KEG, Ziff. 7.3.4.3). Die Befristung nach Artikel 21 Absatz 2 ist vielmehr eine polizeirechtliche Befristung. Sie kann insbesondere aus Sicherheitsgründen angezeigt sein, solange eine bestimmte Frage offen geblieben ist, die für den Betrieb zwar nicht von elementarer Bedeutung ist, aber dennoch abgeklärt werden muss. In diesem Fall wäre die Nichterteilung der Betriebsbewilligung oder, falls diese bereits erteilt wurde, deren Entzug unverhältnismässig. Eine Befristung würde für den Zweck, die vollumfängliche Einhaltung der Voraussetzungen für die Erteilung der Betriebsbewilligung zu erwirken, genügen. Eine Befristung der Betriebsbewilligungen ist bereits in der Vergangenheit verschiedentlich vorgekommen (Kernkraftwerke Beznau II und Mühleberg).

[Hervorhebung nicht im Original]

Weil das Kernenergiegesetz die Gründe einer möglichen Befristung nicht formuliert, stützt sich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf Seite 27 ausdrücklich auf diesen Passus der bundesrätlichen Botschaft (wie übrigens die Vorinstanz auch, siehe Entscheid des UVEK vom 17. Dezember 2009, Ziffer 37).

Herr Leuenberger stand zum Zeitpunkt der Botschaft seit sechs Jahren dem UVEK vor, welches für die Erarbeitung und Vernehmlassung des Kernenergiegesetzes zuständig war. Die Frage der Befristung war zentral (Botschaft Seite 2726):

Es bestand Einigkeit über die Notwendigkeit einer Neuregelung der Atomgesetzgebung. Im Einzelnen gingen die Meinungen jedoch weit auseinander. Umstritten waren insbesondere die Fragen der Befristung des Betriebs bestehender Kernkraftwerke und das Verbot der Wiederaufarbeitung.

[Hervorhebung nicht im Original]

Angesichts der Bedeutung dieser Frage kann ich folglich nicht nachvollziehen, wie sich Herr Alt Bundesrat Leuenberger einerseits nicht mehr an seine eigene Botschaft erinnern kann und andererseits keine Hemmungen hat, den scharfen Vorwurf der „politischen Befristung“ an die Adresse des Bundesverwaltungsgerichts zu erheben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Leider wird dieses Formular von SPAM-Robotern missbraucht. Bitte beweisen Sie mit der folgenden Rechenaufgabe, dass Sie ein Mensch sind, vielen Dank. *