Kommentar zum „Modell ENSI: Restlaufzeiten KKW“

Modell ENSI - Restlaufzeit KKW
Folie des Referats von Dr. Hans Wanner, ENSI-Direktor, anlässlich der SES-Abendveranstaltung „Raus – aber sicher!“

Anlässlich der SES-Abendveranstaltung „Raus – aber sicher!“ stellte Dr. Hans Wanner, ENSI-Direktor das „Modell ENSI: Restlaufzeiten KKW“ vor. Dieses möchte ich hier kommentieren.

Kein neues Modell

Das „Modell ENSI“ enthält meines Erachtens keinerlei Neuerungen. Schon heute hat das ENSI sämtliche gesetzlichen Grundlagen, um dieses Modell zu vollziehen:

1. Es gibt schon heute die rote und die graue Linie inkl. dieser angeblichen „Marge Schweiz“:

Art. 4 Grundsätze für die Nutzung der Kernenergie

[…]

3 Im Sinne der Vorsorge sind alle Vorkehren zu treffen, die:

a. nach der Erfahrung und dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendig sind;

b. zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung beitragen, soweit sie angemessen sind.

2. Der Betreiber ist schon heute verpflichtet, Nachrüstungen bis zur grauen Linie vorzunehmen:

Art. 22 Allgemeine Pflichten des Bewilligungsinhabers

1 Der Bewilligungsinhaber ist für die Sicherheit der Anlage und des Betriebs verantwortlich.

2 Dazu muss er insbesondere:

[…]

g. die Anlage soweit nachrüsten, als dies nach der Erfahrung und dem Stand der Nachrüstungstechnik notwendig ist, und darüber hinaus, soweit dies zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung beiträgt und angemessen ist;

3. Das ENSI kann die Betreiber dazu verpflichten, angemessene Nachrüstungen vorzunehmen und hat dies auch getan, etwa als es nach den unwiderlegbaren Fakten aus Fukushima endlich eine diversitäre Kühlwasserversorgung forderte:

[…] Im Sinne der Vorsorge sind aber alle Vorkehren zu treffen, die zu einerweiteren Verminderung der Gefährdung beitragen, soweit sie angemessen sind. Deshalb ist die Forderung nach einer von der Aare diversitären und verstopfungssicheren Kühlwasserversorgung entsprechend Art. 4 Abs. 3 Bst. b KEG gerechtfertigt.

4. Das ENSI kann die Nachrüstung laufend verfolgen, Verzögerungen anmahnen und bei Nichterfüllung einen Antrag auf Entzug der Betriebsbewilligung an die Bewilligungbehörde (UVEK) stellen (welchen diese unmöglich ablehnen kann):

Art. 67 Entzug

1 Die Bewilligungsbehörde entzieht die Bewilligung, wenn:
[…]

b. der Bewilligungsinhaber eine Auflage oder eine verfügte Massnahme trotz Mahnung nicht erfüllt.

5. Um der zeitlichen Unverrückbarkeit seiner Nachrüstforderung Nachdruck zu verleihen, kann das ENSI schon vorsorglich der Bewilligungbehörde (UVEK) einen Antrag auf Befristung der Betriebsbewilligung stellen und zwar auf den Zeitpunkt, zu welchem es die grüne Linie unter die graue Linie tauchen sieht. D.h. zum Zeitpunk zu welchem eine weitere Verzögerung zur Erfüllung von Art. 4 Abs. 3 Bst. b KEG nicht mehr angemessen wäre. Art. 21 Abs. 2 KEG hält fest: „Die Betriebsbewilligung kann befristet werden.“ Diese Bestimmung wird in der bundesrätliche Botschaft zum Kernenergiegesetz konkretisiert:

Nach Absatz 2 kann die Betriebsbewilligung entsprechend einem verwaltungsrechtlichen Grundsatz befristet werden. […] Eine Befristung würde für den Zweck, die vollumfängliche Einhaltung der Voraussetzungen für die Erteilung der Betriebsbewilligung zu erwirken, genügen. Eine Befristung der Betriebsbewilligungen ist bereits in der Vergangenheit verschiedentlich vorgekommen (Kernkraftwerke Beznau II und Mühleberg).

Beispiel: die befristeten Bewilligung des AKW Mühleberg von 1985 für weitere fünf Jahre wurde unter der Auflage erteilt, das SUSAN sei nun (nach langer vorheriger Verzögerung) ohne Verzug umzusetzen.

Fazit

Es ist eine Frage des Willens beim ENSI, nicht der Rechtgrundlagen, ob es sein „Modell“ umsetzen will. Alle Instrumente sind bereits vorhanden.

Der Gesetzgeber ist meines Erachtens primär darin gefordert, die Anwendung des Modells für das ENSI zur Verpflichtung zu erheben und die diesbezüglichen Kriterien zu konkretisieren.

Immer höhere Ansprüche? Mitnichten!

Zur Folie von Herrn Wanner sei noch ein wichtiger Punkt erwähnt: wenn die graue Linie im Diagramm laufend steigt, dann liegt das nicht an einem steigenden Sicherheitsanspruch der Bevölkerung (oder der Politik). Es liegt vielmehr daran, dass sich bisherige Beteuerungen und Annahmen zur Sicherheit der Anlagen im Detail laufend als unhaltbar erweisen, dass also das Sicherheitniveau der Vergangenheit retroaktiv laufend nach unten korrigiert werden muss. Das historisch behauptete Sicherheitsniveau hingegen steigt nicht, es sinkt in der Tendenz eher, trotz Nachrüstungen.

Exemplarisch sei auf eine Folie für Beznau verwiesen. Hier wird retroaktiv für die ersten 15 Betriebsjahre eine haarsträubende Kernschadenrate in der Grössenordnung von 1:200 ausgewiesen (also ~1:13 auf 15 Jahre). So etwas hätte nicht einmal der vehementeste Atomkritiker damals behauptet.

Die Behörden und Betreiber hingegen, behaupteten damals, wie heute, die Kernschadenrate läge bei ca. 1:20’000 (Rasmussen-Bericht).

Dazwischen liegt ein Faktor Hundert. Ein Faktor Hundert der nachweislich falschen Zusicherungen der Atombranche. Mitnichten ein Faktor Hundert der gestiegenen Ansprüche.

Axpo: Beznau - retroaktiv berechnete Kernschadenrate
Quelle: Herbert Rust, Betriebsdauer-Management am Beispiel des KKW Beznau, SGK Herbstseminar 2010, Olten

 

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