SES-Veranstaltung: „Raus — aber sicher!“

SES - Raus -- aber sicher! - Volles Haus s
Die SES konnte ein praktisch „volles Haus“ begrüssen.

Am 6.5.2013 hat die Abendveranstaltung „Raus — aber sicher!“ der Schweizerischen Energiestiftung SES stattgefunden. Einmal mehr konnte die SES mit hochkarätigen Gästen aufwarten:SES - Raus -- aber sicher!

Referat Dieter Majer

Dieter Majer war von 1982 bis 2011 in deutschen Atom-Aufsichtsbehörden tätig. Zuerst im Hessischen Umweltministerium und dann im Bundesumweltministerium, wo er Leiter der ca. 50 Personen umfassenden Abteilung „Sicherheit kerntechnische Einrichtungen“ war.

Im Referat stellte Dieter Majer zunächst klar, dass es für ihn schwierig sei, hier aufzutreten. Normalerweise sei es ja nicht so, „dass ein Gast das, was in einem Land gemacht wird, kritisch würdigt“. Es sei aber seine Aufgabe — man habe ihn darum gebeten — das hier zu tun und er werde jetzt „auch kein Blatt vor den Mund nehmen“. Er kenne die Schweizer Anlagen, auch aus dem Informationsaustausch als langjähriger Leiter der Deutsch-Schweizerischen Kommission für die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen (DSK).

In seinem Vortrag stellte Herr Majer dar, warum Kernkraftwerke grundsätzlich immer gefährlich seien. Er erklärte die Problematik der Nachzerfallswärme und der möglichen, katastrophalen Auswirkungen einer Kernschmelze. Schweizer Atomkraftwerke seien mehr oder weniger konzeptionell veraltet, gegen heute bekannte Risiken bestehe keine vollständige Vorsorge. Dazu kämen Qualitätsmängel aufgrund von Alterung.

Atomkraftwerke in der Schweiz — jedenfalls die beiden ältesten — sollten so schnell wie möglich abgeschaltet werden, die Risiken sind zu gross.

Dieter Majer, Ehem. Leiter Sicherheit kerntechnische Einrichtungen, Deutschland    Hans Wanner, Direktor ENSI    Bastien Girod, Nationalrat, Mitglied UREK-N

Referat Hans Wanner

ENSI-Direktor Dr. Hans Wanner ging in seinem Referat auf das „Modell ENSI“ ein, wie die Restlaufzeiten der KKW nach seiner Ansicht geregelt werden sollten (siehe Folienabbildung unten). Er stelle zunächst die heutigen Ausserbetriebnahmekriterien vor (rote Linie). Darüber soll gemäss ENSI nun eine „Marge Schweiz“ mit steigenden Sicherheitsanforderungen eingerichtet werden. Das ENSI möchte von den Betreibern wissen, welche Nachrüstungen sie bis wann vornehmen wollen (dies über einen Zeithorizont von jeweils 10 Jahren, wie mir Herr Wanner im Nachgang erläuterte). Das ENSI wolle dann entscheiden, ob und wie lange dieser Nachrüstzustand somit noch oberhalb der grauen Linie (Stand der Nachrüsttechnik, NRT) bleibe. Der Betreiber müsse die Ausserbetriebnahme im Voraus geplant vornehmen, sobald die grüne Linie die graue Limite unterschreitet (und er nicht erneut investiert).

Modell ENSI - Restlaufzeit KKW

Lesen Sie später meinen Kommentar dazu →

Hinweis: Die Referate können bei der SES heruntergeladen und nachgehört werden.

Diskussionsrunde

SES: Raus - aber sicher! - Diskussionsrunde

In der Diskussionrunde stellte Bastien Girod die Vorschläge der UREK-N vor. Er dürfe sie nur so weit darlegen, wie sie schon in der Zeitung gestanden haben. Die Vorschläge scheinen auf dem Modell des ENSI aufzubauen, mit neuer (bisher fehlender) gesetzlicher Grundlage um ein Langzeitbetriebskonzept vorzuschreiben, um die besagte Sicherheitsmarge zu definieren, sowie mit der Regelung, dass nur ein Mal eine 10-Jahres-Verlängerung beantragt werden dürfe. So ergibt sich „40+10“, also eine maximal 50-jährige Laufzeit als Gegenvorschlag zur 45-jährigen Laufzeit gemäss Atomausstiegs-Initiative der Grünen. Durch die Gesetzesänderung sollen offenbar die sicherheitstechnischen Überlegungen so festgehalten werden, dass Schadenersatzklagen ausgeschlossen werden (so die Auskunft von Herrn Girod im Nachgang).

„Eine solche Anlage darf man nicht mehr betreiben“

Auf die Frage der Moderatorin und SES-Projektleiterin Atomenergie Sabine von Stockar an Herrn Majer, ob „40+10“ ein sinnvolles Ausstiegsmodell sei, antortete dieser, er möchte dies als Ingenieur nicht nach realpolitischen, sondern nach Sicherheits-Gesichtspunkten beantworten:

[Audio-File SES bei 40:30] Nach meinem Kenntnisstand — und ich habe mich intensiv mit den Anlagen Beznau und Mühleberg beschäftigt — haben diese beiden Anlagen so viele konzeptionelle Mängel: d.h. schon in der Auslegung sind dort Defizite vorhanden, die man mit Nachrüstungen nicht beseitigen kann. Sie können nicht das Containment so verstärken, dass es einem Flugzeugabsturz standhält. Sie können die Redundanzen nicht so erweitern, dass sie dem heutigen Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen. Sie können die bautechnische Trennung nicht durchführen, in diesen Anlagen. Also schon dies sagt aus meiner Sicht:

Eine solche Anlage darf man nicht mehr betreiben.

Ich bitte nochmals um Nachsicht, ich bin hier im Ausland — ich weiss es — aber trotzdem: ich habe dafür gesorgt, dass zum Beispiel die Anlage in Obrigheim, die 1:1 Beznau entspricht, vor 15 Jahren stillgelegt wurde.  Ich habe auch dafür gesorgt, dass die Anlage in Würgassen […], die fast 1:1 Mühleberg entspricht, auch vor etwa 15 Jahren stillgelegt wurde [Anm: wegen des Kernmantels]. Dieser Auffassung, die damals hatte, möchte ich eigentlich nichts hinzufügen. Dazu kommt noch das ganze Thema Alterung: Versprödung des Reaktordruckbehälters […]

Einen solchen obersten Leiter der Atomaufsicht wünsche ich mir in der Schweiz auch.

Herr Majer wurde nach dem Deutschen Ausstiegsmodells gefragt: unmittelbar nach Fuksuhima wurden sieben AKW stillgelegt [Anm: alle Anlagen mit Baujahr vor 1980. Das würde neben Beznau und Mühleberg auch Gösgen betreffen]. Er hat dann klargestellt, dass hier keine unmittelbar sicherheitstechnische Begründung vorlag, sondern eher eine machtpolitische. Auch die anderen Anlagen würden nun sukzessive ausser Betrieb genommen, nicht nach rein sicherheitstechnischen Gesichtspunkten, sondern nach „Machbarkeits“-Gesichtspunkten.

Anm: Angesichts der Streitfrage um die „Verantwortbarkeit der Kernenergie“ wurde im Jahr 2000 offenbar die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie an den Werken nach einer Betriebszeit von 32 Kalenderjahren im verhandelten Einverständnis mit den Betreibern als „abgeschrieben“ betrachtet. Die verbleibenden Betriebsjahre der einzelnen AKW wurden in Reststrommengen umgewandelt und die Betreiber konnten diese zwischen den Anlagen umverteilen. Dann kam zuerst der Rückzieher und nach Fukushima der Rück-Rückzieher der CDU/CSU/FDP-Regierung.

„Wir wollen Meilensteine haben, die wir auch prüfen können“

Herr Wanner seinerseits betonte, man habe ja Nachrüstungen verlangt. Das koste Geld und nun müsse der Betreiber entscheiden, ob er das noch machen wolle.

Die Moderatorin hakte nach und konfrontierte Herrn Wanner mit der Aussage von BKW-Präsident Urs Gasche, man wolle das jetzt mit dem ENSI verhandeln und sich im Übrigen noch Zeit lassen, zu entscheiden, ob man noch investieren wolle. Herr Wanner führt aus:

[Audio-File SES bei 45:50] Die BKW wird am 30. Juni 2013 einen Umsetzungsplan einreichen. Das ist unsere Forderung und dann schauen wir, was in diesem Umsetzungsplan drin steht. Sie müssen uns zeigen… es war … man kann ja nicht alles auf einen Schlag machen — das ist eine Abfolge von Tätigkeiten — wir haben einfach gesagt alles, alle diese Verbesserungen müssen 2017 fertig sein, jetzt wollen wir wissen wie der Fahrplan ist. Einiges ist davon schon früher fertig. […] Wir wollen Meilensteine haben, die wir auch prüfen können.

Schlüsselmoment

Nach einigen Sätzen zur Erklärung der Zweistufigkeit des Schweizer Sicherheitsbegriffs kommt der Schlüsselmoment des Abends und ein Prachtexemplar ENSI-schen Denkverbots:

[Audio-File SES bei 47:30] Was geschieht, wenn sie jetzt Ende Juni sagen „wir wollen gar nichts mehr tun“… dann müssen wir wieder hinter die Bücher. Das haben wir nicht … das hat … das wäre jetzt doch Spekulation, wenn ich jetzt…

Moderatorin, dazwischen: „Abschalten ist keine Option?“

Jah — Nein — also ich spekuliere jetzt n… aber das ist für uns ganz klar nicht im Moment drin, im jetzigen Plan.

Eine grüne, graue oder rote Linie ist nur so viel wert, wie die Konsequenz ihrer Überschreitung. Wenn eine Aufsichtsbehörde derartige Denkverbote pflegt, dann werden ihr die Beaufsichtigten auf der Nase herumtanzen. Wenn sie nicht bereit ist, den Hebel umzuwerfen — ja, sich das gar nicht vorstellen kann — dann wird sie ihn nie umwerfen. Ich nehme an, es lief ganz ähnlich ab, als das AKW Mühleberg am 7.9.2011 definitv die rote Linie unterschritten hatte (was wir bekanntlich vor Gericht verfolgen).

Die Gesetzgeber sind aufgefordert, die sicherheitstechnische Verbindlichkeit, die nachträgliche Unverrückbarkeit und die Konsequenzen einer Unterschreitung der „grauen Linie“ noch genauer festzuschreiben sowie volle Transparenz dieses Prozesses sicherzustellen und unabhängige Überprüfungs- und Appelationsorgane (Rechtsweggarantie) einzurichten, um die Nukleare Vorsorge auch dann zu gewährleisten, wenn diese weiterhin an Denkverboten bei der Aufsicht scheitert.

Lesen Sie auch meinen Kommentar zum „Modell ENSI“ →

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