Ab heute: AKW Mühleberg offiziell im Pensionsalter


Foto: R. Kühni (mein Vater), 25.8.1972

Kommentar zum 40-Jahre Betrieb des AKW Mühleberg

Nach Verzögerung wegen eines Brands im Maschinenhaus nahm am 6.11.1972 das AKW Mühleberg offiziell den kommerziellen Netzbetrieb auf. Damit hat es heute – nach 40 Jahren – seine von den Ingenieuren geplante Lebensdauer erreicht. Das AKW ist nun quasi offiziell im Pensionsalter. Hoffen wir, dass es sehr bald in den wohlbegründeten Ruhestand tritt.

Glückwünsche sind fehl am Platz. Nach 40 Jahren können die Anwohnern sich höchstens „glücklich schätzen“, dass zwar zahlreiche Pannen (auch radioaktive Freisetzungen) aber bisher keine ganz schlimmen Unfälle passiert sind. Das ist jedoch überhaupt nicht selbstverständlich!

Die ersten fast 20 Jahre lang (vor der Nachrüstung des Notstandsystemes SUSAN) war dieses Atomkraftwerk derart unsicher, dass man rückblickend mit Fug und Recht Gänsehaut bekommen kann. Wäre in dieser Zeit ein grösseres Hochwasser, ein Erdbeben oder ein anderes sogenanntes „externes Ereignis“ eingetreten, dann hätte man mit dem Schlimmsten rechnen müssen.

Roland Naegelin, Mitglied der ASK (heute KNS) von 1970 bis 1980, sowie Direktor der HSK (heute ENSI) von 1980 bis 1995 stellt es in seinem Buch „Geschichte der Sicherheitsaufsicht über die schweizerischen Kernanlagen 1960 – 2003“ so dar (S. 119):

Aus späterer Sicht muss festgestellt werden, dass zur Zeit von Projektierung und Bau der ersten schweizerischen Kernkraftwerke weder die Gesuchsteller noch die Sicherheitsbehörden aufgrund ihrer Kenntnisse und Arbeitskapazitäten in der Lage waren, ihre Aufgaben in Bezug auf die Anlagensicherheit vollumfänglich wahrzunehmen. Wohl waren auf einigen Spezialgebieten gute Kenntnisse, Erfahrung und auch Kompetenzzentren vorhanden, diese fehlten aber weitgehend insbesondere bezüglich Gesamtübersicht und Systemtechnik.

Aber auch mit der Nachrüstung des Notstandsystems SUSAN (Inbetriebnahme 1989) wurde aus dem AKW Mühleberg kein Musterschüler. Man kann durchaus feststellen: das SUSAN ist eine sicherheitstechnische Mängelkonstruktion:

  • Die Notstromversorgung ist nur etwa halb so leistungsfähig, wie die Original-Notstromversorgung (die jedoch ihrerseits eben nicht gegen Erdbeben und Überflutung gesichert ist). Darum fehlen im Notfall wichtige Notsysteme. Wenn ein Störfall nicht nach Büchlein abläuft, kommt es zu einer fatalen Eskalation.
  • Darüber hinaus sind die Generatoren dieser Notstromversorgung wassergekühlt, statt luftgekühlt, was sie von derselben Kühlwasserfassung und denselben Pumpen abhängig macht, wie die Reaktor-Notkühlung.
  • Diese Pumpen werden elektrisch wiederum von den Generatoren gespeist, eine fatale gegenseitige Abhängigkeit.
  • Die Kühlwasserfassung wurde nicht etwa neu gebaut, sondern entgegen jedem Lehrbuch über Wasserbau dem Auslass der regulären Wasserversorgung angehängt. Heute gibt man zu: die Kühlwasserfassung kann bei Hochwasser durch organisches Material (mitgeschwemmte Pflanzenteile) verstopft werden.
  • Die Kühlwasserfassung (mit dem verstopfungsanfälligen Feinrechen) wurde zudem nur einfach ausgelegt, statt zweifach, wie damals längst Stand der Technik.
  • Weil sowohl das normale Kühlwasser, als auch das SUSAN-Kühlwasser von der Aare kommt, hat das AWK Mühleberg als einziges der Schweiz keine sogenannte „diversitäre Wärmesenke“. Neben einem tschechischen AKW ist es gar das einzige in Europa.
  • Das SUSAN behob auch das schlimmste Defizit gegenüber internen Gefahren nicht, im Gegenteil: auch die SUSAN-Pumpen wurden in der sogenannten Minus-11-Meter Ebene angeordnet, so dass nach wie vor sämtliche (ich wiederhole: sämtliche!) primären Notkühlsysteme im selben Raum Opfer eines Brandes oder einer internen Überflutung werden können (sogenannte „übergreifende Einwirkung“). Das Sicherheitsprinzip der räumlichen Trennung – seit Mitte 70er Jahre Stand der Technik – wurde einfach beseite geschoben.
  • Übrigens ist letzteres zurückzuführen auf einen regelrechten Geburtsfehler des nun 40 Jahre alten Atomknackers: mit ihren weitgehend fehlenden Kenntnissen/Erfahrungen/Kompetenzen (siehe Zitat oben) setzten sich die damaligen Behörden gegen den Reaktorhersteller General Electric durch und verlangten einen sogenannten „äusseren Torus“. Dieses vermeintliche Zusatzsicherheitssystem entpuppte sich später als weitgehend nutzlos, verhinderte aber durch seine Präsenz, die Notkühlaggregate im Reaktorgebäude sinnvoll räumlich zu trennen.
  • Der äussere Torus ist heute zusätzlich ein Sorgenkind, weil er zweckentfremdet wurde für die Filterung der Containment-Druckentlastung, sein Abluftkanal aber durch ein nicht erdbebensicheres Gebäude führt.

Der damalige HSK-Direktor Roland Naegelin äussert sich auch dazu, wie der Stand der Technik damals gehandhabt wurde. In seinem Buch (Seite 335) erwähnt er diesbezüglich zwar nicht das SUSAN-Projekt, aber das zur ungefähr gleichen Zeit projektierte Pendant des AKW Beznau (NANO):

Das von der NOK termingerecht auf Ende 1981 eingereichte Projekt basierte auf den KSA-Projektierungsregeln für neue Anlagen, hatte dabei aber einen Umfang und eine Komplexität angenommen, welche den Rahmen einer zumutbaren und überschaubaren Nachrüstung überschritten.

Im Einvernehmen mit der HSK wurde das Projekt einer Redimensionierung unterzogen. Dabei wurde das Konzept NANO im Bereich Notstand und Notstrom gestrafft und im Bereich Not- und Nachkühlsysteme erweitert. Wichtigster Punkt war der Verzicht auf die ursprüngliche Forderung nach Redundanz des Notstandsystems.

Heute holt uns diese Nachsicht der Aufsichtsbehörden ein. Sowohl Beznau (Projekt AUTANOVE), als auch Mühleberg (Projekt DIWANAS) müssen endlich grosse Nachrüstungen tätigen. Dabei werden genau diese Mängel (welche von Atomkritikern seit Jahrzehnten vergeblich angemahnt wurden)  angegangen. Derweil dürfen die AKW allerdings am Netz bleiben. Mindestens beim AKW Mühleberg ist dies aus meiner Sicht nicht zulässig.

Beim AKW Mühleberg stellt sich zudem die Frage, ob angesichts der eh geringen verbleibenden Lebensdauer und der historisch (wie damals beim SUSAN) immer wieder erfolgreich hinausgezögerten Projekte wirklich jemals gebaut werden wird.


Bild: Baustelle AKW Mühleberg – Firmenschilder. Quelle: Staatsarchiv Bern, FI Losinger 3105/5

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