Der Bund: „Nachrüstung des Mühleberg-Damms könnte die Kippfestigkeit schwächen“

In seiner Ausgabe vom 11.10.2012 hat Der Bund im Artikel „Nachrüstung des Mühleberg-Damms könnte die Kippfestigkeit schwächen“ über die Bedenken und offenen Fragen zum Nachrüstprojekt der BKW berichtet. Von Simon Thönen.

Mit einer langen Reihe von über siebzig 18 Meter langen Stahlpfählen will die BKW das Stauwehr des Wohlensees verstärken. Die Nachrüstung soll verhindern, dass die Mauer bei einem Erdbeben ins Gleiten gerät, das heisst: unten wegrutscht. Die Massnahme steht in engem Zusammenhang mit dem AKW Mühleberg unterhalb der Stauanlage.

Wegen des AKW Mühleberg habe ich mich schon länger mit der Staumauer beschäftigt. Das AKW wird bei einen Dammbruch ca. 5m über das Geländeniveau überschwemmt und kann dies nicht mit seinen Sicherheitssystemen verkraften. Man wäre nach meiner Einschätzung in einer schlimmeren Situation als in Fukushima nach dem Tsunami.

Bild: Ein Versuch zur 3D-Simulation des Bruchs der Wohlenseestaumauer →

Nach einem weiteren Zeitungsartikel darüber, meldete sich ein Bauingenieur bei mir, der über langjährige Erfahrungen bei Erdbebenberechungen für Staumauern und andere Bauwerke verfügt. Auf Grund der öffentlich verfügbaren Pläne hat er Berechnungen vorgenommen und festgestellt, dass der Wehrteil der Staumauer nach den üblichen Annahmen und Normen kaum einem verschärften Erdbeben standhält.

Deshalb versuchten wir von der BKW nähere Angaben zu ihren Berechnungsgrundlagen (Eigenschaften des Felsuntergrundes, des Betons etc.) zu erhalten, um herauszufinden, warum sie zu anderen Ergebnissen kommen. Wir wurden auf Mitte Jahr vertröstet, wenn das ENSI die entsprechende Prüfung abgeschlossen habe.

Am 7.9.2012 hat das ENSI die Angaben der BKW, sowie seine Stellungnahme und die des BFE veröffentlicht. Allerdings sind darin wiederum nur summarische Aussagen aber keine Berechnungsgrundlagen enthalten. Seither versuchen wir weiterhin an diese Angaben heranzukommen (eine andere Geschichte).

Der Bauingenieur hat dann auch die Pläne der BKW zur Verstärkung der Staumauer studiert, als diese Ende Juli öffentlich auflagen. Dazu hat er deutliche Bedenken geäussert. Die gravierendsten betreffen eine mögliche „Verschlimmbesserung“ der Kippsicherheit, die nun Gegenstand des Bund-Artikels ist.

Die Frage war also, wie wir sicherstellen konnten, dass die Nachrüstung der Wohlenseestaumauer eine markante und allseite Verbesserung der Sicherheit darstellt und kein einseitiger Schnellschuss, welcher eilig vorgezogen wird, möglicherweise um einen teuren Betriebsunterbruch beim AKW zu vermeiden.

Zwar hat das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) im Juli sowohl das AKW wie das nahe Stauwehr als erdbebensicher akzeptiert. Der Befund beruhte allerdings auf provisorischen Erdbebenberechnungen. Falls die Experten in ihrem Schlussergebnis stärkere Erdbeben am Standort für möglich halten, wäre die Betriebsbewilligung für das AKW infrage gestellt. Deswegen will die BKW die Sicherheitsmarge des Damms mit den Pfählen rasch erhöhen.

Schliesslich entschieden sich einige Anwohner und ich dafür, eine Einsprache gegen das Baugesuch einzureichen. Letztlich ausschlaggebend war die Rechtsauskunft, dass nur Einsprecher ein Anrecht auf Einblick in Akten geltend machen können. Alle anderen bleiben aussen vor („laufendes Verfahren“).

Gegen die geplante Nachrüstung haben der AKW-Kritiker Markus Kühni und Anwohner Einsprache erhoben. «Wir unterstützen selbstverständlich Massnahmen zur Verstärkung der Staumauer», schreiben sie. Sie befürchten aber, dass sich die geplante Verstärkung «als Verschlimmbesserung herausstellen könnte».

Immerhin scheinen die Aufsichtbehörden ähnliche Fragen zu stellen:

Kühni stützt sich auf einen Bauingenieur mit Erfahrung bei Erdbebenanalysen. Die Befürchtungen des Experten sind auch für die Bundesbehörden zumindest ungeklärte Punkte. Dies zeigen Dokumente aus dem Einspracheverfahren, die dem «Bund» vorliegen.

Die „Dokumente aus dem Einspracheverfahren“ wurden mir automatisch zugesendet. Soweit hat sich also die oben erwähnte Rechtsauskunft zur Akteneinsicht bewährt.

Das ENSI schreibt in seiner Stellungnahme:

Das ENSI geht im Übrigen davon aus, dass das Bundesamt für Energie, Sektion Talsperren, die Nachweise im Detail prüft. Deshalb beschränkte sich die Überprüfung des ENSI auf das grundsätzliche Konzept und die Plausibilität der vorgesehenen Massnahmen. Dennoch möchten wir auf nachfolgende Details hinweisen bzw. Fragen stellen, welche in der weiteren Projektbearbeitung geklärt bzw. aufgearbeitet werden sollten:

Und weiter unten:

c) Im Weiteren ergeben sich einige Detailfragen zur Tragwirkung der Pfähle und deren Einbindung bzw. Interaktion mit dem Untergrund, z.B. die Kraftübertragung der  Pfahlgruppen in den Baugrund, die Lastübertragung Bauwerk / Pfähle inkl. der örtlichen Bauwerksschwächung, etc. Das ENSI würde es begrüssen, wenn diese Fragen mit dem Projektverfasser und dem BFE vor Bauausführung noch diskutiert und geklärt werden könnten.

Bemerkenswert sind hier folgende Punkte:

  • das ENSI geht davon aus, dass das BFE „die Nachweise im Detail prüft“
  • entscheidende Fragen, die über Sinn- oder Unsinn des ganzen Vorhabens entscheiden, sieht es als „Detailfragen“ — aber immerhin
  • so auch die „örtlichen Bauwerksschwächung“, auf welcher unsere Bedenken zum Kipprisiko beruhen
  • es vertagt die Klärung der Fragen aus der Bewilligung hinaus, vor die Bauausführung

Das BFE schreibt seinerseits:

Die Verstärkung des Untergrunds geschieht freiwillig, ohne Auflage des BFE als Aufsichtsbehörde über die Sicherheit der Stauanlagen. Aus diesem Grund wurden die vom Projektverfasser angestrebten Verbesserungen nicht quantitativ geprüft.

Unter der Annahme, dass man die Sicherheit von Stauanlagen mittels Modellen und Berechnungen nachprüft und entsprechende Resultate typischerweise in Form von Sicherheitsfaktoren herauskommen, ist diese Aussage wohl so zu verstehen, dass man dies eben nicht gemacht hat.

Weiter unten steht:

1. Die von der BKW FMB Energie AG eingereichten Projektunterlagen sind ausreichend, um das Projekt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 StAV zu prüfen. Danach und unter Beachtung der in der vorliegenden Verfügung formulierten Auflagen ist die Stauanlage dermassen konzipiert, dass die Anforderungen gemäss Stauanlagenverordnung erfüllt sind. Das Umbauprojekt kann deshalb genehmigt werden.

Es scheint, als habe man das Projekt nur auf Aktenvollständigkeit und (wie das ENSI) auf „Plausibilität“ gecheckt, nicht aber rechnerisch nachgeprüft. Dort, wo die Plausibilität in Frage gestellt werden musste, wurde eine Auflage formuliert. Das heisst, das BFE bewilligt das Vorhaben, ohne es rechnerisch „im Detail“ geprüft zu haben (wovon das ENSI dann also fälschlicherweise ausgegangen wäre — s.o.).

Die massgebliche Auflage des BFE lautet:

2.3 Erdbebensicherheit:

Der Gesuchsteller hat vor Baubeginn nachzuweisen, dass die Kippsicherheit des Wehrs durch die geplante Baumassnahme nicht beeinträchtigt wird.

Die Rechenschaft zur tatsächlichen Sicherheit der Staumauer muss die BKW also erst nachher ablegen. Nach Abschluss des Bewilligungsverfahrens (und ausserhalb des Akteneinsichtsrechts).

Kein Verständnis für dieses Vorgehen hat Kühni: «Eine so grundlegende Frage muss vor der Baubewilligung geklärt werden.» Er befürchtet, das BFE wolle mit seinem Vorgehen die Einsprecher ausschliessen. Das BFE weist dies auf Anfrage als «Unterstellung» zurück: «Es ist in diesem technischen Bereich üblich, die Beantwortung gewisser verbleibender Fragen als Auflagen in die Genehmigung aufzunehmen.» Nötigenfalls werde das BFE Massnahmen anordnen.

Zum Glück ist da der Kanton Bern konsequenter:

Die kantonale Baudirektion, deren Amt für Wasser und Abfall das Bewilligungsverfahren leitet, betont jedoch, dass «das Vorhaben der BKW mit der Projektgenehmigung des BFE keineswegs bewilligt ist». Generalsekretär Christian Albrecht sagt auf Anfrage: «Auch die Frage der Kippsicherheit muss innerhalb des Baubewilligungsverfahrens geklärt werden. Die Bewilligung kann nur erteilt werden, wenn diesbezügliche Zweifel ausgeräumt sind.»

BKW Baugesuch: Vorgezogene Instandhaltungsarbeiten Verstärkung Untergrund Maschinenhaus und Wehr – Einsprache [EinsprecherInnen-Namen entfernt]

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