Laufzeiten der AKW: Kuhhandel statt Sicherheit?

ENSI Forum - Stefan Müller CVP
Hat ein Ohr für die Ideen des ENSI: Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (CVP, Kanton Solothurn), Foto vom ENSI-Forum, 4.9.2012 (Schärfe nachbearbeitet)

Aktuelle politische Vorstösse aus ENSI-Kreisen haben es in sich. Gehen eine Machtkonzentration beim ENSI und ein Kuhhandel zu den Restlaufzeiten der AKW auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung? Lässt sich die Politik von Mitte bis Links über den Tisch ziehen?

Wie immer bei Atomfragen ist die Sache nicht in drei Sätzen erklärt. Bitte beissen Sie sich durch.

Alle Macht dem ENSI?

Bereits am 11. März 2012 lancierte das ENSI seine erste politische Offensive. Basierend auf einer Empfehlung der IAEA/IRRS-Überprüfungsmission soll die bisherige Teilung in Bewilligungs- (UVEK) und Aufsichtsbehörde (ENSI) aufgehoben werden. Zwar hatten die IAEA/IRRS Experten nur verlangt, dass das ENSI bindende regulatorische Auflagen an AKW-Betreiber erlassen kann:

R1 Recommendation: The government should consider providing ENSI with the authority to issue regulatory requirements.

Daraus konstruiert das ENSI nun die Idee, man müsse die Bewilligungsbehörden gleich ganz abschaffen und ihm alleine sämtliche Kompetenzen rund um die Atomenergie zuschanzen.

Konkret sollte nicht mehr das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK sondern das ENSI abschliessende Entscheide fällen können.

Tatsächlich verstösst es gegen internationale, vertragliche Grundprinzipien, wenn das UVEK (welches über den Versorgungsauftrag der Förderung und Nutzung von Atomenergie verschrieben ist) gleichzeitig Bewilligungsbehörde ist:

(2)  Jede Vertragspartei trifft die geeigneten Massnahmen, um eine wirksame Trennung der Aufgaben der staatlichen Stelle von denjenigen anderer Stellen oder Organisationen, die mit der Förderung oder Nutzung von Kernenergie befasst sind, zu gewährleisten.

Das heisst jedoch nicht, dass das ENSI alleine als konforme Bewilligungsbehörde in Frage kommt. Vielmehr wäre es logisch, dafür das BAG vorzusehen, da ihm der Strahlenschutz unterstellt ist (die eigentliche Zielsetzung Nuklearer Sicherheit). Das BAG ist bereits in allen anderen radiologischen Anwendungsbereichen (etwa im Medizinbereich) Bewilligungsbehörde und verfügt bereits über weitreichende Kompetenzen. Die Kernenergie ist in der Strahlenschutzverordnung als merkwürdige Ausnahme dem ENSI zugesprochen (was ja eigentlich dem Kernenergiegesetz wiederspricht).

Der gute Draht

Einen Tag nach der Mitteilung des ENSI brachte Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat und Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie NR (UREK-NR) die ENSI-Idee ins Bundeshaus:

12.3131 – Postulat – Sach- und Entscheidkompetenz in der Atomaufsicht vereinen

Der Bundesrat wird beauftragt, eine Revision des Kernenergiegesetzes zu prüfen, welche die Sach- und Entscheidkompetenz bezüglich der Bewilligungsdauer für Kernanlagen vereint. Namentlich soll geprüft werden, ob das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) nicht nur bei einer unmittelbaren Gefährdung, sondern auch bei absehbaren, nur aufwendig zu behebenden Sicherheitsbedenken Massnahmen verfügen kann, welche von der erteilten Bewilligung abweichen.

Das ENSI wird hier taktisch als machtlos dargestellt. In Wahrheit kann es aber nicht nur bei unmittelbarer Gefahr einschreiten, sondern auch die Einhaltung der Kernenergiegesetzgebung überwachen und bei mangelnder Sicherheit die unverzügliche vorläufige Ausserbetriebnahme durchsetzen. Wie ich hier wiederholt dargestellt habe, hätte es dies im Fall Mühleberg längst tun müssen.

Allerdings gibt es tatsächlich Defizite bei den Befugnissen des ENSI. Gemäss der „Grundsätze für die Nutzung der Kernenergie“ hat das ENSI nur Durchsetzungskraft bei Vorkehren, die „nach der Erfahrung und dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendig sind“, hingegen fehlt dem ENSI die gesetzlich Handhabe, um Nachrüstungen mit Fristen durchzusetzen, die „zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung beitragen, soweit sie angemessen sind.“

Letzteres kann heute nur das UVEK mit einer Befristung oder einem Entzug der Betriebsbewilligung, etwa wenn „der Bewilligungsinhaber eine Auflage oder eine verfügte Massnahme trotz Mahnung nicht erfüllt.“ Natürlich kann das ENSI bereits heute jederzeit eine entsprechende (öffentliche) sicherheitstechnische Empfehlung an die Bewilligungsbehörde abgeben. Die Bewilligungsbehörde könnte sie unmöglich vom Tisch wischen. Die ENSI-Machtlosigkeit besteht nicht real.

Trotzdem könnte eine Erweiterung der Befugnisse des ENSI nicht schaden. Man braucht aber nicht gleich das Kind (die Bewilligungsbehörde) mit dem Bade auszuschütten.

Restlaufzeiten der AKW: ein Kuhhandel?

Am ENSI-Forum vom 4. September 2012 lancierte Hans Wanner, Direktor des ENSI (statt der versprochenen Diskussion über Massnahmen aus Erkenntnissen nach Fukushima) dann die zweite politische Idee:

In seinem Referat hatte ENSI-Direktor Hans Wanner die Idee ins Spiel gebracht, die Betreiber sollten ein umfassendes Konzept für die Restlaufzeit erstellen, inklusive die nötigen Investitionen in die laufende, weitere Verbesserung der Sicherheit. Denn „entscheidend für die Lebensdauer eines Kraftwerks ist die Bereitschaft der Betreiber, diese Investitionen zu tätigen.“

Die Idee stiess am Forum freilich auf keinerlei Gegenliebe bei den Betriebern. Warum sollte sie auch? Dazu braucht es zuerst ein dickes Zückerchen. In der SonntagsZeitung vom 17.2.2013 wird schliesslich bekannt, dass auch hier wieder Stefan Müller-Altermatt passende Anträge in die UREK-NR einbringt:

Der Solothurner CVP-Nationalrat Stefan Müller hat dort Anfang Woche den Antrag gestellt, man solle den Kraftwerken den Betrieb während 40 Jahren garantieren. Danach sollen diese neue Betriebsbewilligungen für maximal weitere 15 Jahre beantragen können. Innerhalb dieser Frist könnten die Betreiber dann selbst entscheiden, wie lange sich ein Betrieb noch rechnet. Klar wäre aber auch, dass alle Atomkraftwerke nach spätestens 55 Jahren stillgelegt würden. Müller: «So können wir einen geordneten Atomausstieg organisieren und verhindern, dass Werke plötzlich wegen Sicherheitsmängeln abgeschaltet werden müssen.»

Augen zu und durch?

Das dicke Zückerchen scheint nun auf dem Tisch zu liegen: garantierte 40 Jahre Laufzeit und darüber hinaus für weitere 15 Jahre „verhindern, dass Werke plötzlich wegen Sicherheitsmängeln abgeschaltet werden müssen“. Eine Woche später doppelt die SonntagsZeitung nach und es wird von einer „Lex Mühleberg“ gesprochen.

Natürlich sind das nur Zeitungsmeldungen, der tatsächliche UREK-NR-Antrag liegt mir nicht vor und entschieden ist noch nichts. Nimmt man den Zeitungsartikel jedoch nach der üblichen Terminologie für bare Münze, ist ganz klar eine Aufweichung oder gar Aufhebung der Bewilligungsvoraussetzungen (bzw. des zwingenden Entzugs bei deren Fehlen), der Ausserbetriebnahmeverordnung sowie der Gefährdungsannahmenverordnung geplant.

Letzteres ist besonders erwähnenswert, da nach heutigem Gesetz die Gefährdungsannahmen laufend anzupassen sind. Betreiber und ENSI haben bekanntermassen die Neubestimmung der Erdbebengefährdung (PEGASOS) seit bald zehn Jahren erfolgreich verschleppt. Aber die Zeit läuft ab: nach der x-ten Verschiebung soll Mitte 2013 endlich ein Resultat vorliegen. Auch die von diversen namhaften Experten als völlig ungenügend eingeschätzte Hochwassergefährdung und deren Neubestimmung macht den AKW-Betreibern Sorgen. Ein Einfrieren der Gefährdungsannahmen auf dem heutigen, nach den Experten viel zu tiefen Niveau, wäre also ein willkommenes Geschenk.

So wie es aussieht, scheint hier tatsächlich ein Kuhhandel mit der Sicherheit der Bevölkerung stattzufinden. Auch Politiker von Mitte bis Links scheinen mitzumachen.

Kurz vor dem „Tag der Wahrheit“ ein Bein gestellt?

Mit der neuen Verfassung bzw. der totalen Bundesrechtsrevision erhielten AKW-Anwohner endlich die (in andern Ländern längst selbstverständlichen) Grundrechte und Rechtsmittel, um erstmals nach 40 Jahren echte Fragen der Nuklearen Sicherheit vor einem unabhängigen Gericht klären zu können. Diese Rechtsmittel mussten (und müssen) vor Gericht zuerst noch erkämpft werden, obwohl sie klar in den Gesetzen stehen. Wir stehen nun kurz davor, zum allerersten Mal rechtliche Rechenschaft über einzelne Fragen der Sicherheit eines AKW einfordern zu können.

Und nun sprechen Politiker plötzlich von garantierten Laufzeiten? Vom Verhindern einer Ausserbetriebnahme wegen Sicherheitsmängeln? Alles nur Zufall?

Viele Erkenntnisse, aber nichts gelernt

An der Greenpeace-Veranstaltung „Zwei Jahre nach Fukushima – Viele Erkenntnisse, aber nichts gelernt?“ habe ich Herrn Müller in der anschliessenden Fragerunde damit konfrontiert.

Das sei nicht so gemeint. Die laufende Aufsicht werde dadurch nicht eingeschränkt, versicherte er dem Plenum. Im persönlichen Gespräch zeichnete er mir später grafisch seine Theorie auf, wonach sich die Betreiber in Verhandlungen freiwillig a) zu begrenzten Laufzeiten und b) zu einem erhöhten Sicherheitsniveau oberhalb der Mindestanforderungen verpflichten werden. Damit wären die Anforderungen und Einschränkungen also beidseitig höher bzw. verbindlicher als nach geltender Gesetzgebung. Was genau dann noch die erwähnte „Garantie“ sein soll und warum sich ein Betreiber darauf einlassen sollte, wurde mir leider nicht klar.

Herr Müller-Altermatt scheint jedoch fest daran zu glauben. „Allein mir fehlt der Glaube.“

Schlussbemerkungen

Ich hoffe, dass sich hier niemand unwissentlich einspannen oder gar über den Tisch ziehen lässt. Gerne lasse ich mich jedoch vom Gegenteil überzeugen und stehe umgekehrt für Fragen hinsichtlich der verletzlichen Integrität der Gesetzgebung rund um die Nukleare Sicherheit zur Verfügung.

[leicht revidiert am 5.3.2013 12:00]

 

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