Verfahren in Sachen „Mobile Pumpen“ beim AKW Mühleberg abgeschrieben
Rückblende
Nach der dreifachen AKW-Katastrophe Fukushima im März 2011 musste auch die BKW ihr AKW Mühleberg u.a. auf ähnliche Überflutungsgefährdungen untersuchen. Das Kraftwerk wurde im Juni ausser Betrieb genommen, weil nach einer ETH-Analyse tatsächlich davon ausgegangen werden musste, dass es im Auslegungsstörfall zu einer Verstopfung der Kühlwasserfassung kommt. Eilig wurden einige für AKW-Verhältnisse extrem improvisierte Nachrüstungen vorgenommen.
Ende August erlaubte das ENSI, das AKW wieder in Betrieb zu nehmen. Im Nachweis zur Beherrschung des Auslegungsstörfalles Hochwasser (Defence in Depth, Sicherheitsebene 3) sah es allen Ernstes vor, die Kühlwasserfassung mit mobilen Pumpen im Rahmen von Accident Management Massnahmen sicherzustellen. Später wurde noch bekannt, dass beim anzunehmenden Hochwasserpegel die Einspeisestelle einen halben Meter unter Wasser stehen würde. Ich habe das damals mit etwas Galgenhumor illustriert:
Es droht der „Total Station Blackout“
Diese Kühlwasserfassung soll nicht nur den sicherheitstechnisch klassierten Sicherheitsfunktionen zur Kühlung des Reaktors und der Nachwärmeabfuhr dienen, sondern auch der einzigen im Störfallszenario noch verfügbaren Stromversorgung für das AKW. Die mobilen Pumpen müssten nämlich auch die Notstromdieselgeneratoren des Notstandssystems kühlen und zwar unterbrechungsfrei. Würde die haarsträubende „Feuerwehrübung“ auch nur für kurze Zeit scheitern, käme es zum sogenannten „Total Station Blackout“ (TSB).
In Fukushima führte genau so ein TSB (verursacht von der fehlerhaften Gefährdungsannahme für den Tsunami, welcher dann die Dieselgeneratoren flutete) zur riesigen Atom-Katastrophe mit drei Kerndurchschmelzen, nota bene bei fast baugleichen Reaktoren. Die dort nachher verzweifelt durchgeführten Accident Management Massnahmen mit Feuerwehrpumpen waren noch während Wochen immer wieder von Pannen und langen Unterbrüchen geprägt.
Das hinderte freilich das ENSI nicht daran, einige Monate später genau solche Accident Management Massnahmen zu kreditieren, um den Störfallnachweis überhaupt erbringen und somit dem AKW die Wiederinbetriebnahme erlauben zu können. Auch nach dreizehn Jahren ist dieser Vorgang immer noch schier unglaublich.
Dagegen führten wir dann mit Unterstützung von Greenpeace ab Mai 2012 unser endloses Rechtsverfahren.
Salamitaktisch in die Stilllegung
Das ENSI hatte 2011 zwar (rechtswidrig) den Weiterbetrieb erlaubt, gleichzeitig aber Nachrüstungen bis 2015 gefordert. Mit unserem Verfahren hielten wir den Druck aufrecht und nahmen wiederholt Stellung gegen weiteren Behelfslösungen mit sicherheitstechnisch nicht klassierter, nicht qualifizierter Ausrüstung, etwa den Anschluss ans Trinkwasser-Reservoir Runtigenrain, oder den Accident Management-Notstromdiesel auf dem Dach des Notstandsbunkers. Diese sind ebenfalls in einem Auslegungsstörfallnachweis nicht kreditierbar, weil sie weit davon entfernt sind, den nuklearen Qualitätsstandards (wie Erdbebenfestigkeit usw.) und Störfallnachweiskriterien (wie Redundanz etc.) zu entsprechen.
Eine Nachrüstung nach korrekten nuklearen Standards erachtete die BKW schliesslich als zu teuer. Nach geschickter Salamitaktik zur Hinauszögerung kündigte die BKW 2013 die Stilllegung des AKW Mühleberg per Ende 2019 an. Am 21. Dezember war es soweit.
Standbild: SRF
Seither laufen die Rückbauarbeiten. Im September 2023 bestätigte das ENSI, dass alle Brennelemente aus der Anlage abtransportiert waren. Somit wurde der überwältigende Grossteil der Radioaktivität und damit auch die Quelle der gefährlichen Nachzerfallswärme von der Anlage entfernt. Folglich entfiel auch der Bedarf für eine Kühlung nach nuklearen Sicherheitsstandards.
Das schutzwürdige Interesse
Einerseits war dies eine gute Nachricht für Anwohner. Andererseits ist uns aber in unserem Verfahren das sogenannte „schutzwürdige Interesse“ abhanden gekommen, welches unsere Klage berechtigte. Wir werden als Anwohner nicht mehr weiter unzulässig gefährdet. Das ENSI konnte somit die Abschreibung des Verfahrens in die Wege leiten.
Ein kleines Hintertürchen hätte es zwar noch gegeben, hier wiedergegeben von unserer Anwältin, Ursula Ramseier:
Es kann aber von einem aktuellen schutzwürdigen Interesse abgesehen werden, wenn sich die Fragen unter ähnlichen Umständen wieder stellen könnten, an ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht und im Einzelfall eine rechtzeitige Prüfung kaum je möglich wäre.
Allerdings wurde ein Vorgehen mit dieser Argumentation als juristisch zu riskant betrachtet (Kosten).
Martin Pestalozzi, unser Anwalt während des Hauptteils des Verfahrens (heute pensioniert und immer noch beratend involviert), fasst es treffend zusammen:
Nach mehr als zwölf Jahren (Markus telefonierte mir ein erstes Mal in dieser Sache im Januar 2012) ist nun also dieser einst so hoffnungsträchtige Fall einfach versandet. ENSI und BKW haben es unter tatkräftiger Mithilfe des Bundesgerichts (Fehlentscheid vom Oktober 2018) mit vereinten Kräften fertig gebracht, die Sache so lange zu verzögern, bis das Rechtsschutzinteresse effektiv abhandengekommen ist. Bitter für uns alle und sicher kein Ruhmesblatt für den real existierenden Rechtsstaat!
Immerhin: Zusicherung des ENSI
Immerhin verlangten wir vom ENSI, eine von ihm in der Anhörung gemachte Zusicherung als Teil der Abschreibungsverfügung festzuschreiben, was es dann auch tat:
Das ENSI hat deshalb bei allen Schweizer Kernkraftwerken die Kreditierung von Accident Management Massnahmen vertieft abgeklärt. Wie sich gezeigt hat, gibt es keinen Fall, in dem in einem Schweizer Kernkraftwerk auf der Sicherheitsebene 3 Accident Management Massnahmen mit nicht klassierten Ausrüstungen kreditiert sind. Das ENSI hat auch zukünftige Entwicklungen erwogen und festgestellt, dass eine derartige Kreditierung weder geplant noch als Option für die Zukunft absehbar ist. Die Streitfragen stellen sich unter gleichen oder ähnlichen Umständen nicht. Daher ergäbe eine neue Beurteilung des Hochwassernachweises aus Vergangenheitssicht keine verwertbaren Resultate und damit für die Parteien und die Öffentlichkeit keinen Nutzen.
Diese technisch gesehen recht weitreichende Zusicherung hat wohl rechtlich wenig Verbindlichkeit. Dennoch betrachte ich diesen Klartext auch als eine Art spätes „Eingeständnis“ der eigenen Verfehlung, wenn auch nur zwischen den Zeilen. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die damals dafür Verantwortlichen heute nicht mehr beim ENSI arbeitet.
Grundsatzfrage ungeklärt, aber weiterhin einklagbar
Sollte das ENSI trotz Zusicherungen bei einem anderen AKW wiederum in ähnlicher Weise rechtswidrig handeln, könnte von Anwohnern wieder ein Rechtsverfahren gestartet werden. Anwalt Martin Pestalozzi dazu:
[Es] fehlt auch weiterhin ein höchstrichterliches Präjudiz. Sollte sich also unsere zentrale Frage entgegen den Zusicherungen des ENSI doch wieder einmal stellen, würde sich zwar das ENSI auf dieses nicht abschliessende Präjudiz berufen und das Bundesverwaltungsgericht vermutlich wieder gleich entscheiden. Das Bundesgericht wäre jedoch frei, materiell dereinst anders zu entscheiden.
Zwischensieg vor Bundesgericht bleibt
Wir können uns an der Stilllegung des AKW Mühleberg erfreuen. Wie stark unser Verfahren dazu beigetragen hat, muss offen bleiben. Als weiteres Ergebnis können wir auf unseren Zwischensieg im April 2014 vor Bundesgericht verweisen, wo wir durchsetzen konnten, dass Anwohner überhaupt gegen rechtswidrige Handlungen des ENSI (und anderer Behörden) klagen können. Das ENSI wollte seine „Lizenz zur Willkür“ durch alle Instanzen hindurch verteidigen.
Da ist es auch umso erfreulicher, dass die Klimaseniorinnen ihr Verfahren, welches mit auf dieses von uns erstrittene Urteil aufbaute, gewonnen haben. Herzliche Gratulation!
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