Der Bund: „Eile mit Weile bei Hochwasserberechnung für Staudämme und AKW“

KKM bei Hochwasser

Im Artikel „Eile mit Weile bei Hochwasserberechnung für Staudämme und AKW“ schreibt der Bund über die Medienmitteilung „Extremhochwasser an Aare und Rhein: Grundlagen für die Gefährdungsbeurteilung“ des BAFU. Von Simon Thönen.

2011 kritisierte Klimahistoriker Christian Pfister, die Hochwassergefahr werde unterschätzt. 2014 wollen die Behörden Arbeitsgruppen zum Thema einsetzen.

[…] Das Bafu will mit weiteren Bundesämtern sowie Meteo Schweiz und der Atomaufsicht Ensi «gemeinsame Grundlagen für die Beurteilung der Hochwassergefährdung an Aare und Rhein erarbeiten». Im kommenden Jahr würden dazu «Arbeitsgruppen mit externen Spezialisten und Vertretern des Bundes gebildet». Eine Synthese der Arbeit dieser Gruppen werde «ab 2016» erstellt.

Der Artikel weist darauf hin, dass diese banal klingende Ankündigung keineswegs Routineforschung darstelle, sondern Spätfolge einer intensiven Fachkontroverse zur Sicherheit der AKW sei.

Nach Fukushima: alte Annahmen und Modelle

Rückblende: im Nachgang von Fukushima forderte das ENSI die AKW-Betreiber auf, die Überflutungsszenarien neu zu beurteilen. Die Annahmen und Modelle dazu sollten die Betreiber aber unverändert aus alten Studien nehmen. Daraufhin hagelte es Kritik von renommierten Fachbüros und Experten. Der Bund-Artikel erinnert daran:

Historische Hochwasser ignoriert

Die Kritik, welche der renommierte Klimahistoriker Christian Pfister im Juli 2011 erstmals im «Bund» äusserte, war brisant. Er warnte, die Gefahr, die extreme Hochwasser für das Atomkraftwerk Mühleberg darstellen, werde unterschätzt.

Die Kritik von Prof. Pfister war nur eine von vielen. Es wurde auch bemängelt, dass keine Schneeschmelze, keine Rutschungen in die Gewässer (mit Aufstau und Ausbruch), sowie nur zwei Tage Niederschlag berücksichtigt wurden.

Die Frage der Beurteilungsgrundlagen für Extremhochwasser war im Sommer 2011 keineswegs nur theoretischer Natur. Zur Erinnerung: Die BKW hatte das AKW Mühleberg vom Netz genommen, weil eine ETH-Studie aufgezeigt hatte, dass die Notkühlung des AKW bei Extremhochwasser verstopfen könnte. Der Nachweis, dass Mühleberg ein Extremhochwasser mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10 000 pro Jahr überstehen könnte, entschied darüber, ob das AKW wieder ans Netz gehen würde. Die Kritik von Pfister, man habe für Mühleberg – anders als für Leibstadt – nicht einmal die Hochwasser berücksichtigt, die sich nachweislich bereits einmal ereignet haben, stellte die eigentliche Grundlage des Nachweises infrage.

Für das Auftreten von Extrem-Niederschlägen von mehr als den angenommenen zwei Tagen Dauer bzw. auf schmelzenden Schnee hat Prof. Pfister historische Aufzeichnungen aufgezeigt:

Berner-Chronik des Diebold Schilling, Zweiter Band, Seite 234
Berner-Chronik des Diebold Schilling, Zweiter Band, Kap. 388

Und wie hat damals die Atomaufsichtsbehörde reagiert? Der Bund-Artikel erinnert daran:

Ensi vertröstete auf später

Die Atomaufsicht Ensi jedoch ignorierte die Grundlagenkritik von Pfister, als sie im Herbst 2011 der BKW erlaubte, Mühleberg wieder hochzufahren. Das Ensi stellte allerdings in Aussicht, es werde die Annahmen für Extremhochwasser später neu überprüfen lassen.

Nach drei Jahren soll nun 2014 endlich eine Studie beginnen:

Viel zu spät für AKW-Kritiker Markus Kühni: «Das Ensi hat mehr als zwei Jahre lang Däumchen gedreht. Eine Überprüfung der Gefährdungsannahmen hätte laut Gesetz ‹unverzüglich› nach Fukushima stattfinden müssen.»

Erkenntnis Nummer 1 aus Japan ignoriert

Die Fehleinschätzung der sogenannten Gefährdungsannahmen war offiziell die Erkenntnis Nummer 1 der Japanischen Behörden:

Lessons in category 1
Strengthen preventive measures against a severe accident
(1) Strengthen measures against earthquakes and tsunamis

[…] The tsunamis which hit the Fukushima Dai-ichi Nuclear Power Station were 14-15m high, substantially exceeding the height assumed under the design of construction permit or the subsequent evaluation. The tsunamis severely damaged seawater pumps, etc., causing the failure to secure the emergency diesel power supply and reactor cooling function. […] The assumption on the frequency and height of tsunamis was insufficient, and therefore, measures against large-scale tsunamis were not prepared adequately.

Tsunami at Fukushima NPP
Foto: TEPCO

Man hatte in Japan nur ca. hundert Jahre zurückgeblickt und historische Aufzeichnungen sowie Warnmale ignoriert:

Tsunami-Warnung: Bau nicht unterhalb dieses Steins, Quelle: AP, Spiegel online

Bau nicht unterhalb dieses Steins! Bei Erdbeben, achte auf Tsunamis!

[Quelle: AP, Spiegel online]

Die Erkenntnis Nummer 1 aus Japan wurde ignoriert: das ENSI hat die Überprüfung und Neubestimmung der Gefährdungsannahmen nicht nur nicht gefordert, sondern gar aktiv behindert, indem es den Betreibern vorschrieb, alte Annahmen ungeprüft zu übernehmen.

Brief an Bundesrätin und Behörden

Zu diesen krassen Verfehlungen habe ich damals einen Brief an verschiedene zuständige Behörden und den Bundesrat geschrieben (der auch weitere Details beschreibt und belegt). Daraus ist unter anderem ein Gerichtsfall entstanden, der immer noch hängig ist.

Beznau nicht besser

Schliesslich sei noch darauf verwiesen, dass die Situation in Beznau nicht besser ist. Schliesslich fliesst die Aare (und dann der Rhein) bei sämtlichen Schweizer AKW vorbei:

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