NZZ: „Forderungen zum AKW Mühleberg sind juristisch riskant“

AKW Mühleberg, von ennet der Aare

Im Artikel „Forderungen zum AKW Mühleberg sind juristisch riskant“ vom 11.6.2013 schreibt die NZZ über die neuesten Verlautbarungen aus der Direktion des ENSI. Von Davide Scruzzi.

ENSI bekommt „wacklige Füsse“

Neuerdings haben die Fachleute des Bundes festgestellt, dass bereits die Nachrüstmassnahmen beim umstrittenen AKW Mühleberg zu einem ersten Prüfstein werden können.

Einschub: Wie ich hier bereits ausgeführt habe, kennt das Schweizer Vorsorgeprinzip in Sachen Nuklearsicherheit zwei Stufen:

Art. 4 Grundsätze für die Nutzung der Kernenergie

[…]

3 Im Sinne der Vorsorge sind alle Vorkehren zu treffen, die:

a. nach der Erfahrung und dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendig sind;

b. zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung beitragen, soweit sie angemessen sind.

Bei den hier diskutierten Nachrüstforderungen des ENSI bewegen wir uns in der Stufe b, also in einem Ermessensbereich. Der NZZ-Artikel beleuchtet nun, wie das ENSI mit diesem Ermessen umgeht:

Die Spitze der BKW hat bereits die vollständige Umsetzung der Forderungen des Ensi zu Mühleberg öffentlich hinterfragt und über eine Verhandlungslösung spekuliert. – Dabei schien die Situation klar. Bei der Präsentation seiner Forderungen hatte das Ensi Ende 2012 erklärt, dass der Weiterbetrieb bis 2022 von der Umsetzung der Nachrüstmassnahmen in Mühleberg bis 2017 abhängt. Doch am Ensi-Hauptsitz in Brugg zeigt man sich mittlerweile besorgt. «Die BKW könnte sich beispielsweise auf den Umstand berufen, dass die Realisierung einer weiteren Wärmesenke gar nicht internationaler Standard ist», sagt Ensi-Direktor Hans Wanner gegenüber der NZZ. Daraus könnte die BKW das Recht ableiten, ihren Reaktor noch einige Jahre länger zu betreiben, weil ja die gesetzlichen Kriterien weiter erfüllt seien. Würde die BKW sich weigern, bei unvollständiger Umsetzung der Massnahmen per 2017 den Betrieb in Mühleberg einzustellen, könnte das Ensi das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation ersuchen, ihr die Bewilligung zu entziehen. Ein Rechtsstreit wäre dann denkbar.

«Die Ensi-Forderungen stehen so gesehen insgesamt auf wackligen Füssen», sagt Hans Wanner.

Unglaublich. Die Aufsichtsbehörde spekuliert öffentlich über die Durchsetzbarkeit ihrer eigenen Nachrüstforderungen und stellt diese in ein Licht, als wären sie der reine Sicherheits-Luxus.

Die Vorarbeit: aus Tadel wird Lob

Dabei sieht es in Wahrheit ganz anders aus: das vollständige Fehlen einer weiteren Wärmesenke beim AKW Mühleberg (sowie einem tschechischen AKW) wurde in der entsprechenden Expertengruppe des EU Stresstests offenbar intensiv diskutiert, wie ein Mitglied dieser Expertengruppe und Professor für Nukleartechnik im Interview mit dem Bund bekannt gab:

Interessant ist: Das EU-Expertenteam befasste sich in Luxemburg mit einem Problem, das im tschechischen AKW Dukovany wie auch in Mühleberg existiert: Es fehlt eine zweite Quelle für die Notkühlung.

Bei beiden fehlt eine Alternative zur sogenannten ultimativen Wärmesenke. Mit dem Abschalten wird die Wärmeproduktion im Reaktor nicht vollständig gestoppt, der nukleare Zerfallsprozess geht weiter. Um die Brennstäbe in einem sicheren Zustand zu halten, muss der Reaktor über längere Zeit gekühlt werden, man muss Wasser ins Werk bringen. Diese ultimative Wärmesenke ist entscheidend. Deshalb müssen alle KKW so ausgelegt sein, dass eine Alternative vorhanden ist, um die Wärme auch in dem sehr unwahrscheinlichen Fall abzuführen, wenn die normale Wärmesenke ausfällt. In den meisten KKW ist – neben der normalen Wasserversorgung aus einem Fluss – ein Grundwasserbrunnen oder ein spezieller Kühlturm die zweite Wärmesenke.

Fehlt die zweite Quelle nur in diesen beiden Werken?

Im Rahmen des Stresstests wurde das Problem bei diesen zwei KKW identifiziert und viele Male intensiv diskutiert.

Später wurde das Kriterium „Diversitäre Wärmesenke“ im EU Stresstest offenbar strenger definiert, so dass noch zahlreiche andere AKW den Anforderungen nicht genügten. Was sich zunächst als begrüssenswerte „Strenge“ präsentiert, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als cleverer Schachzug. Im Gegenzug kann nun plötzlich behauptet werden, eine solche streng defininerte diversitäre Wärmesenke sei überhaupt nicht „Stand der Nachrüsttechnik„, ergo könne man deren Nachrüstung auch nicht verlangen.

Das nunmehr verschärfte Kriterium wurde zu einer „Good Practice“ umgewandelt. Aus einem Tadel für die ganz schwarzen Schafe wurde so ein Lob für „die Guten“. Und selbstverständlich wurde dann jubilierend fast ausschliesslich über das Lob berichtet.

Chapeau, das ist paneuropäische Pro-Nuklear-PR vom Feinsten!

Die Wahrheit: noch schlimmer

Aber nicht nur das vollständige Fehlen einer zweiten Wärmesenke ist beim AKW Mühleberg ein grosser Mangel. Tatsache ist, dass bereits die erste und einzige Wärmesenke offiziell nicht den Anforderungen für den gesetzlichen deterministischen Hochwassernachweis genügt:

Verstopfungen der Zulaufstränge oder des Rechens des SUSAN-Notstandsystems sind nach Einschätzung des ENSI unwahrscheinlich, können aber deterministisch nicht völlig ausgeschlossen werden.

Richten sollen es in diesem Fall mobile Feuerwehrpumpen. Einen halben Meter in der Flut stehend, soll die Betriebsfeuerwehr Wasser zur Kühlung des Reaktors einpumpen. Diese „Nukleare Sicherheit à la ENSIfechten wir bekanntlich vor Gericht an.

Auslegungshochwasser - Sicherheit à la ENSI

ENSI-Vizedirektor Dr. Georg Schwarz führte damals im Bund-Interview die bereits verlangte Nachrüstung als Entschuldigung an:

Als letzte Lösung, um den Reaktor zu kühlen, blieben dann nur noch Feuerwehrpumpen. Die BKW lässt für diese gegenwärtig fixe Anschlüsse in Mühleberg bauen. Verstopfen könnten laut Schwarz allerdings auch die mobilen Pumpen – und bedienen müssten diese im Notfall Feuerwehrleute. «Eine Lösung, bei der man sich als Ultima Ratio auf mobile Pumpen abstützt, ist nicht optimal», räumte Schwarz ein.

Diese kritische Aussage gilt für das Ensi aber nur für den «Langzeitbetrieb» von Mühleberg. Das Ensi hatte bereits im Mai angeordnet, dass auch in Mühleberg eine Notkühlung gebaut werden muss, die ohne Flusswasser auskommt. Die anderen vier AKW verfügen bereits über eine solche.

Auch die offizielle Antwort auf meinen damaligen Brief, enthielt diese Ausrede:

Zudem hat das ENSI diese Situation nur für eine befristete Zeit akzeptiert. Bereits am 5. Mai 2011 hatte das ENSI gestützt auf Art. 22 Abs. 2 Bst. g KEG für das Kernkraftwerk Mühleberg die Nachrüstung einer zusätzlichen erdbeben-, überflutungs- und verstopfungssicheren Kühlmittelversorgung für das Notstandsystem gefordert.

Das scheint ebenfalls alles vergessen. Nochmals O-Ton:

«Die Ensi-Forderungen stehen so gesehen insgesamt auf wackligen Füssen», sagt Hans Wanner.

Es sei noch erwähnt, dass das Feuerwehr-Szenario nur das schöngerechnete Niederschlagshochwasser abdeckt. Bei einem Bruch der 1.3 km flussaufwärts stehenden Wohlensee-Stauauer wäre hier alles verloren. Die Feuerwehrmänner stünden bis zu 5 Meter tief in der Flutwelle. Dass die Staumauer nicht erdbebenfest ist, bestätigen namhafte Experten und wir versuchen dies ebenfalls gerichtlich zu verfolgen.

Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg

Das AKW Mühleberg muss per 30.6.2012 sein Umsetzungskonzept für die Nachrüstungen (die es nota bene selber vorgeschlagen hatte) abgeben. An der Abendveranstaltung der SES vor einem Monat konnte man ENSI-Direktor Dr. Hans Wanner noch deutlich anmerken, dass er sich gegenüber einer potenziellen Verweigerungshaltung der Mühleberg-Betreiberin ein Denkverbot auferlegt hatte.

Inzwischen hat er ganz offensichtlich die betreiberlichen Winke mit dem Zaunpfahl gewürdigt. Rechtzeitig vor dem Abgabetermin verteilt das ENSI nun also via Presse gleichsam Tipps zum juristischen Anfechten der Nachrüstforderungen und signalisiert vorauseilend seinen fehlenden Willen, die Forderungen nötigenfalls vor Gericht durchzusetzen.

Dabei hatte das Bundesgerichtsurteil vom 28. März dem ENSI praktisch die alleinige Verantwortung und weitgehende Deutungshoheit in Sachen Nuklearer Sicherheit zugesprochen. Wenn Anwohner selbst mit solide dokumentierten Zweifeln an der Sicherheit sowie mit einem günstigen Urteil der Vorinstanz beim Bundesgericht abblitzen, dann darf man doch zumindest hoffen, dass diese höchstrichterliche Carte Blanche an das ENSI auch gegen allf. Betreiberinteressen gilt.

Nur: Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.

Man könnte noch auf die Idee kommen, die Äusserungen des ENSI seien als Hilferuf nach einem verschärften Gesetz zu verstehen. Sollte da auch nur ein Körnchen Wahrheit enthalten sein, dann wäre diese Message gründlich missraten. Es ist zu hoffen, dass die Politik aus den naheliegenden Gründen trotzdem diese Konsequenz daraus zieht.

Gesetzliche Grundlagen vorhanden

Die gesetzlichen Grundlagen wären durchaus bereits heute vorhanden. Dazu verankert die UVEK Gefährdungsannahmenverordnung folgendes:

Art. 12

1 Der Gesuchsteller oder der Bewilligungsinhaber hat nachzuweisen, dass:

[…]

b. bei einer Häufigkeit eines Kernschadens zwischen 10-4/a und 10-5/a für bestehende Kernkraftwerke alle angemessenen Vorkehren getroffen wurden;

[…]

d. die Häufigkeit von Freisetzungen radioaktiver Stoffe in gefährdendem Umfang deutlich geringer ist als die Häufigkeit eines Kernschadens.

[…]

3 Die Aufsichtsbehörde wird beauftragt, die Anforderungen an die probabilistische Sicherheitsanalyse in Richtlinien zu regeln.

Das ENSI hätte es also in der Hand, gerade nach den Erkenntnissen aus Fukushima seine diesbezüglichen Richtlinien anzupassen, konkretere Anforderungen zu definieren und so die Angemessenheit von Nachrüstungen bzw. des Sicherheitsniveaus zum effektiven Schutz der Bevölkerung zu steuern.

AKW Mühleberg steht schon heute in der Bringschuld

Es ist dabei unbedingt zu betonen, dass schon nach den heutigen, überholten Richtlinien und der nach Fukushima völlig diskreditierten, aber immer noch grosszügig praktizierten Anrechnung von Notfallmassnahmen, das AKW Mühleberg gleich doppelt in der Bringschuld steht.

Sowohl das Schutzziel „Häufigkeit eines Kernschadens“ als auch das Schutzziel „Häufigkeit von Freisetzungen radioaktiver Stoffe in gefährdendem Umfang“ (s.o.) wird zur Zeit nicht erreicht. Nachrüstungen „soweit angemessen“ sind ausdrücklich gesetzlich gefordert.

Das ENSI hat es in der Hand.

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